Träume und Gnome im Zwielicht

Der zwei­te Uni­dram-Abend hät­te (für mich) kein stär­ke­res Kon­trast­pro­gramm bie­ten kön­nen. Bereits um 18 Uhr betrat ich gespannt die sze­ni­sche (Hör-)Installation "Nett­les" der Schwei­zer Grup­pe Trickster‑P.

Aus der leuch­ten­den Abend­son­ne direkt hin­ein in ein halb­dunk­les Laby­rinth aus etwa einem Dut­zend klei­ner Räu­me. Auf den Ohren Kopf­hö­rer, über die mir die Alp­träu­me und Erin­ne­run­gen eines Mäd­chens, ihre direk­ten und indi­rek­ten Erfah­run­gen mit dem (The­ma) Tod – ver­dich­tet wie in einem lite­ra­ri­schen Bewusst­seinstrom – erzählt wurden.

Trickster‑P "Nett­les", Copy­right CCRZ

Schon im ers­ten Raum, der sehr schmal war und in dem sich das Minia­tur-Modell eines Ses­sel­lifts befand, brauch­te ich star­ke Ner­ven, um der Enge – ver­stärkt durch den medi­zi­ni­schen Mund-Nasen-Schutz  und das vor­herr­schen­de Zwie­licht – nicht vor­zei­tig zu ent­flie­hen. Auch der Traum, in dem das Mäd­chen im Win­ter Lift fährt und ihr, als sie oben ange­kom­men ist,  eine (unbe­kann­te) Frau zeigt, wo die eige­ne Toch­ter begra­ben ist, bemäch­tig­te sich rasch mei­ner eige­nen Phantasie.

Direkt danach ging es – auf ein Licht­zei­chen hin – in so etwas wie ein Wohn­zim­mer, in dem brau­ne Haus­lat­schen stan­den, eine Steh­lam­pe war­mes Licht spen­de­te und ein wei­ßer Hund in sei­nem Körb­chen lag. Bereit­wil­lig nahm ich auf einem Leder­puff Platz und ver­such­te, inner­lich ruhi­ger zu wer­den. Was mir nicht gänz­lich gelang, denn die ein­ge­spiel­ten Herz­ge­räu­sche und die dar­auf fol­gen­de (ana­to­mi­sche) Beschrei­bung des mensch­li­chen Herz­to­des trig­ger­ten wei­ter die eige­nen (Ur-)Ängste.

Schon 2019 waren Trickster‑P mit ihrer Instal­la­ti­on "Twi­light" bei Uni­dram zu Gast – und wäh­rend man dort, gemein­sam mit zwei Dut­zend ande­ren, das Gefühl hat­te, gemein­sam mit einem Bus durch die Nacht zu fah­ren, ist man in "Nett­les" sowohl räum­lich als auch mit sei­nen Gefüh­len mut­ter­see­len­al­lein. Etwas, was man in den gegen­wär­ti­gen Coro­na-Kri­sen­zei­ten zum Teil neu und manch­mal schmerz­haft erfah­ren konnte/musste.

Die­ses sug­ges­ti­ve Wech­sel­bad der Gefüh­le, das u. a. durch Jahr­markts- oder nächt­li­che Spuk­ge­räu­sche oder auch die Erzäh­lung vom Tod des Fami­li­en­hun­des erzeugt wur­de – hin­ter­ließ wahr­schein­lich nicht nur bei mir einen star­ken kör­per­li­chen und see­li­schen Ein­druck, den ich nicht so schnell wie­der abschüt­teln konnte.

Howool-Baek "For­eign body_trio" Foto: Jerun Vahle

Auch die Tanz­kom­pa­nie von der süd­ko­rea­ni­schen Cho­reo­gra­fin Howool Baek und ihre "for­eign bodies" sind schon mehr­mals in Pots­dam zu Gast gewe­sen. Ich erin­ne­re mich gern an die fas­zi­nie­ren­den Fin­ger-Kör­per­plas­ti­ken der Künst­le­rin aus den "Nothing"-Projekten.

Im Mit­tel­punkt von "For­eign body_trio" stan­den indes drei Performer:innen, die mit gro­ßer Beweg­lich­keit und Prä­zi­si­on ihre unge­mein ath­le­ti­schen Rücken(-muskeln) spie­len lie­ßen. Dabei ent­stan­den skur­ri­le, sehr fremd anmu­ten­de "Kör­per­we­sen", die der Fan­ta­sie eines Hie­ro­ny­mus Bosch ent­sprun­gen zu sein schienen.

Zeit­wei­se erin­ner­ten sie (mich) z. B. an Gno­me: die Schlüs­sel­bein­höh­len bil­de­ten die tief­lie­gen­den Augen, die her­ab­hän­gen­den Haar­mäh­nen der Tänzer:innen deren Bär­te und durch die vorn­über­ge­beug­ten Rücken und unter den Köp­fen gekreuz­ten Arme waren  nur  ein­ge­schränk­te Bewe­gun­gen möglich.

Doch zu die­sen frem­den Kör­per­bil­dern stell­te sich (bei mir) kei­ne wirk­li­che Nähe wie zu den Traum­bil­dern in "Nett­les" her, nicht nur, weil ich mich in der fabrik in mei­nem Sitz zurück­leh­nen und die­se Wesen an mir vor­bei­zie­hen las­sen konn­te. Denn ich erwisch­te mich nicht nur ein­mal dabei, dass ich mich mehr den eige­nen inne­ren – zuvor durch "Nett­les" auf­ge­wühl­ten – als den ima­gi­nier­ten Bild­wel­ten überließ.

Astrid Priebs-Trö­ger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

02. September 2021 von Textur-Buero
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