Ungeheuer zärtlich

Der Win­ter dau­ert lan­ge in die­sem Jahr. Doch jeder wei­te­re Schnee­schau­er bringt auch den Früh­ling ein Stück näher. Die­ses Nicht-mehr und das Noch-nicht ist auch das/ein The­ma der gran­dio­sen Tanz­pro­duk­ti­on "Mephis­to Waltz" der rus­si­schen Grup­pe Dere­vo, die im T‑Werk im Rah­men von "25 Jah­re Uni­dram" gastierte.

Als die Zuschau­er den Saal betra­ten, erwar­te­te sie zuerst eine mit rot-wei­ßem Flat­ter­band abge­sperr­te Büh­ne, die mit Gerüs­ten an der Sei­te und den schwarz­ge­klei­de­ten Gestal­ten, die mit Taschen­lam­pen umher­flit­zen, an eine Bau­stel­le erin­ner­te. Oder, als man wenig spä­ter das aus Stoff­bah­nen zusam­men­ge­setz­te dunk­le Kreuz am Boden wahr­nahm, an ein geheim­nis­vol­les Zwi­schen­reich. In des­sen Mit­te ein geheim­nis­vol­ler Nabel kraft­voll pulsierte.

Anton Adass­in­sky als "Frühling"/Foto: Maik Rafail

Geheimnisvolle Zwischenreiche und die großen Sinnfragen

In solch meta­phy­si­schen Wel­ten sind die rus­si­schen Tän­zer und Tän­ze­rin­nen um den Cho­reo­gra­fen und Per­for­mer Anton Adass­in­sky schon lan­ge zu Hau­se. 2003, zum 10. Uni­dram-Fes­ti­val gas­tier­ten sie mit "La Divina Com­me­dia". Auch hier ging es um die gro­ßen Sinn­fra­gen, um das, was letzt­lich unser Leben und Ster­ben aus­macht. Und die­se Rus­sen schaf­fen es auf­wüh­lend und tröst­lich zugleich, die­se Fra­gen mit kla­ren ein­präg­sa­men Bil­dern vor allem dem Her­zen nahezubringen.

Da kommt plötz­lich ein klei­ner Schnee­mann auf die Büh­ne. Nur noch aus zwei Kugeln bestehend, mit fre­cher roter Nase und keckem Eimer­hut. Er und der Früh­ling – Adass­in­sky ver­kör­pert ihn mit weit­aus­ge­brei­te­ten Armen und Vogel­nest auf dem kah­len Kopf – rei­chen sich für einen Augen­blick die Hand. Wor­auf­hin der klei­ne Kerl ganz sanft und unge­heu­er zärt­lich zerfließt.

Auch sonst fin­det "Mephis­to Walz" unge­mein schö­ne Bil­der für das Ster­ben. Die Angst davor und die Bru­ta­li­tät des Über­gangs wird nur durch den vor­wie­gend ratio­nal den­ken­den Men­schen selbst her­ein­ge­bracht. Denn die schwar­zen Schat­ten­vö­gel oder hel­len Zie­gen-Zwi­schen­we­sen, die da tan­zen, sind zwar dun­kel, aber sie töten nicht.

Ungemein schöne Bilder für das Sterben

Das gie­rig-bru­ta­le Töten haben die Men­schen selbst erfun­den. Adass­in­sky zeigt es mit die­ser blau­grü­nen eiför­mi­gen Erde, die er unter dem Arm trägt. Als sie zu Boden fällt und in zwei Tei­le zer­bricht, wühlt er im roten Inne­ren der Was­ser­me­lo­ne gie­rig nach Nah­rung und nach Sinn. Und fin­det bei­des nicht.

Die­se Sequenz erin­nert an Alex­an­der Sokur­ows preis­ge­krön­ten Film "Faust", in dem Anton Adass­in­sky den Mephis­to als Wuche­rer ver­kör­per­te. In des­sen Anfangs­sze­ne wühlt Faust in den Gedär­men eines toten Man­nes, um dessen/die See­le zu fin­den – auch dies vergeblich.

Ungeheure Präsenz der Tänzerinnen und Tänzer

Statt­des­sen ist sie, die See­le, in die­sen auf­wüh­lend sanf­ten 90 Minu­ten zu fin­den. In der unge­heu­ren Prä­senz der fünf Tän­ze­rin­nen und Tän­zer. Die in jedem Augen­blick ganz da sind und so unge­heu­er flie­ßen kön­nen. Zwi­schen Leben und Tod, Ernst und Spiel, Trau­rig­keit und Humor. Die jeden ein­zel­nen Moment, bei­na­he wie im Butoh, sich mit äußers­ter Genau­ig­keit gestal­ten lassen.

Die Wur­zeln des Butoh rei­chen bis in die 1920er Jah­re und den moder­nen deut­schen Aus­drucks­tanz zurück. Und ähn­lich wie die deut­schen Tän­zer der Vor­kriegs­zeit voll­zieht der Butoh den Bruch mit den ratio­na­len Prin­zi­pi­en der Moder­ne. Was dabei ent­steht, lässt sich poe­tisch umschrei­ben als die Ent­de­ckung des dunk­len Körpers.

Der Tod ist groß und er lächelt

In "Mephis­to Walz" ist der Tod sehr groß, sehr hell  – und er lächelt. Was man schon oft gehört oder gele­sen hat, bei Adass­in­sky kann man es sehen und spü­ren. Und: er schwingt sei­ne Sen­se ele­gant und zudem über­aus mühe­los. Wie­viel bru­ta­ler fühl­te sich da das Ange­ket­tet­sein des Tod­kran­ken an sei­ne irdi­schen Plas­tik­schläu­che und –mas­ken an.

Wun­der­bar, dass gera­de die­se Pro­duk­ti­on, so kurz vor dem Oster­fest zu sehen war. Denn eines ist gewiss: Nach jedem Win­ter kommt ein neu­er Früh­ling. Und: alles hat (s)eine Zeit.

Astrid Priebs-Trö­ger

Fotos zu "Mephis­to Waltz" von Derevo

26. März 2018 von admin
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