Von Vögeln lernen

Men­schen und Vögel müs­sen einst sehr eng bei­ein­an­der gelebt haben. Wie sonst ist zu erklä­ren, dass Rede­wen­dun­gen wie "flüg­ge wer­den", "unter die Fit­ti­che neh­men" oder "sich ins gemach­te Nest set­zen" Ein­gang in unse­re Spra­che gefun­den haben. 

Wir haben sie der Vogel­welt abge­schaut und auf unser All­tags­le­ben über­tra­gen. "Nest­wär­me – Was wir von Vögeln ler­nen kön­nen" heißt auch das neu­es­te Buch von Ernst Paul Dörf­ler, das der ost­deut­sche Öko­ak­ti­vist im gut­be­such­ten Haus der Natur dem inter­es­sier­ten Pots­da­mer Publi­kum vorstellte.

Wissenschaftliche Phänomene in allgemein-verständlicher Sprache

Für die­ses war es gene­ra­tio­nen­über­grei­fend ein inter­ak­ti­ves Ver­gnü­gen, den locke­ren Auf­tritt des Wis­sen­schaft­lers, dem es ein Anlie­gen ist, wis­sen­schaft­li­che Phä­no­me­ne in einer all­ge­mein-ver­ständ­li­chen Spra­che zu erklä­ren und dadurch Emo­tio­nen zu wecken, zu erle­ben. Ernst Paul Dörf­ler, der pro­mo­vier­ter Che­mi­ker und lei­den­schaft­li­cher Vogel­lieb­ha­ber ist, erzählt in sei­nem 13. Buch zum ers­ten Mal auch von den eige­nen Wur­zeln, die auf einem Klein­bau­ern­hof nahe Wit­ten­berg liegen.

Dort erleb­te er von Kin­des­bei­nen an, was ein Leben im Ein­klang mit der Natur bedeu­tet. Kein Wun­der, dass es ihn nach Stu­di­um, Pro­mo­ti­on und poli­ti­schem Enga­ge­ment in der Wen­de­zeit wie­der dort­hin zurück­zog. Der enga­gier­te Natur­schüt­zer erzählt in "Nest­wär­me", das 2019 im Han­ser Ver­lag erschien, in 15 Kapi­teln, was wir Men­schen von den Vögeln, mit denen wir eine gemein­sa­me Ent­wick­lungs­ge­schich­te als Wir­bel­tie­re tei­len, ler­nen kön­nen. Und das ist eine Men­ge: Ange­fan­gen bei der natur­be­las­se­nen Ernäh­rung, über Gleich­be­rech­ti­gung und Arbeits­tei­lung zwi­schen den Geschlech­tern, bis hin zu Fried­fer­tig­keit und Schwarmintelligenz.

Gleichberechtigung, Friedfertigkeit und Schwarmintelligenz

Das ist auch das Beson­de­re an Dörf­lers Buch: Es ist eines über Vögel und Men­schen glei­cher­ma­ßen. Er will die Tie­re jedoch nicht "ver­mensch­li­chen", son­dern mit sei­ner poin­tier­ten Spra­che das Ver­ständ­nis für alle ver­bes­sern. Immer wie­der erhel­lend, was er unter ande­rem über tie­ri­schen Sex erzählt. Dass bei­spiels­wei­se Erpel als ein­zi­ge einen Penis besit­zen und somit – anders als die meis­ten ande­ren Vögel – ihren Part­ne­rin­nen ihren Wil­len auf­zwin­gen kön­nen. Ansons­ten herrscht in der Vogel­welt durch­weg Damen­wahl. Oder, wie den Men­schen die über­le­bens­wich­ti­ge Nest­wär­me in den hygie­ni­schen  Kran­ken­haus­ge­bur­ten des 20. Jahr­hun­derts zuneh­mend abhan­den­kam und als "Roo­ming-in"  neu "erfun­den" wurde.

Das alles geschieht in einem ernst­haf­ten, ein­neh­men­den Plau­der­ton. Doch Dörf­ler malt ob der gegen­wär­ti­gen Ent­wick­lung – mit Kli­ma­wan­del und Insek­ten­ster­ben – in sei­nem Buch kei­ne düs­te­ren Welt­un­ter­gangs­sze­na­ri­en, son­dern zeigt, was wir gewin­nen kön­nen, wenn wir von Vögeln ler­nen: Näm­lich Leich­tig­keit, Beweg­lich­keit und Gesund­heit. Und er erzählt fas­zi­niert, dass Vögel im Grun­de nicht altern, son­dern, anders als wir Men­schen, bis zum Lebens­en­de über schar­fe Sin­ne und ein sich stän­dig erneu­ern­des Äuße­res ver­fü­gen. Und dass sie am Ende ihrer Lebens­span­ne – ohne wie vie­le von uns vor­her mul­ti­mor­bid zu sein – ein­fach sterben.

Es lohnt sich, von Vögeln zu lernen – für Alle!

Sein Vor­trag wur­de, genau­so wie das sehr lesens­wer­te Buch, von den ein­fühl­sa­men Zeich­nun­gen der Mag­de­bur­ger Illus­tra­to­rin Ute Bartels beglei­tet, die nach der Wen­de als Auto­di­dak­tin zu die­ser Pro­fes­si­on fand. Zum Schluss kam er noch auf das Jung­brun­nen­en­zym Telo­me­ra­se zu spre­chen, über das Vögel und Men­schen glei­cher­ma­ßen ver­fü­gen. Und er zeig­te auch dar­an, dass es sich lohnt, von Vögeln zu ler­nen. Nicht nur das bei ihnen und in der gesam­ten Tier­welt prak­ti­zier­te Inter­vall­fas­ten wür­de uns hel­fen, vie­le der heu­te epi­de­misch auf­tre­ten­den Zivi­li­sa­ti­ons-krank­hei­ten gar nicht erst zu bekom­men. Für Dörf­ler bedeu­tet dies jedoch nicht Ver­zicht, son­dern sich und ande­ren etwas Gutes zu tun.

Astrid Priebs-Trö­ger

 

23. Februar 2019 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Literatur, Ökologie | Schlagwörter: , , , | Schreibe einen Kommentar

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