(Un)gesicherte Zukunft

Eine lite­ra­ri­sche Vor­la­ge bil­de­te die Grund­la­ge der begeh­ba­ren Instal­la­ti­on des Müns­te­ra­ner Künst­le­rin­nen­kol­lek­tivs "Rue Obscu­re", die am zwei­ten und drit­ten Uni­dr­am­t­ag in der Wasch­haus-Are­na auf­ge­baut war.

Man wur­de allein oder zu zweit in die ima­gi­nä­ren Wohn- und Denk­räu­me einer (hier weib­li­chen?) Per­son geschickt, die wegen Dau­er­re­gens in ihrem Haus festsitzt.

RUE OBSCURE_Gesichertes Gelän­de © Patrick Sobottka

Basie­rend auf der tage­buch­ar­ti­gen Erzäh­lung von Max Frisch "Der Mensch erscheint im Holo­zän" von 1979, in der ein iso­lier­ter alter Mann in den Tes­si­ner Ber­gen lang­sam sein Gedächt­nis ver­liert, wer­den in "Gesi­cher­tes Gelän­de" an sechs Sta­tio­nen Anstö­ße gege­ben, über das Ver­hält­nis von Mensch und Natur nachzudenken.

Es dau­er­te eine Wei­le, bis ich begriff, dass bei Sta­ti­on Eins wirk­lich unzäh­li­ge Schei­ben Knä­cke­brot auf dem Boden lie­gen und mir sofort der Satz (mei­ner Mut­ter) – Mit Essen spielt man nicht – in den Sinn kam.

Ein Erbe der Kriegs­kin­der, die alles Ess­ba­re unend­lich wert­schätz­ten. Und genau wie in Frischs Erzäh­lung soll auch hier eine Pago­de dar­aus gebaut wer­den – als Zei­chen eines Welt­ord­nungs­stre­bens, das dem lang­sam dement wer­den­den Alten immer wie­der misslingt.

RUE OBSCURE_Gesichertes Gelän­de © Patrick Sobottka

War­um muss der Mensch alles ord­nen und eti­ket­tie­ren? Kann er nicht ein­fach Natur Natur sein las­sen? Das ist die Fra­ge, die an meh­re­ren Stel­len der Instal­la­ti­on immer wie­der aufploppt.

Bei der nächs­ten Sta­ti­on emp­fängt mich inten­si­ver Geruch von Knob­lauch und Zitro­nen, die dort in einem offen ste­hen­den Kühl­schrank und auf drei Tischen lagern. Auf letz­te­ren sind sie in wie­der­keh­ren­den Mus­tern geord­net, zusam­men mit Kas­ta­ni­en und getrock­ne­ten Oliven.

RUE OBSCURE_Gesichertes Gelän­de © Patrick Sobottka

Das ist schön anzu­se­hen und ich erfah­re auch, dass die Vor­rä­te an Lebens­mit­teln und Holz im Haus noch ein paar Tage rei­chen wer­den. Das Haus ist aller­dings durch den Dau­er­re­gen und dadurch abrut­schen­de Lehm­mas­sen gefährdet.

Und weil es seit Tagen nicht auf­hört zu reg­nen, über­rascht die nächs­te Sta­ti­on umso mehr. Dort wer­den in Wort und Bild gera­de­zu poe­ti­sche Bil­der für die ver­schie­de­nen Arten von Regen gefun­den. Und obwohl ich mich in dem Flur mit den vie­len Fens­tern beengt füh­le, ver­wei­le ich mit die­sen lite­ra­ri­schen Regen­bil­dern gern dort.

Die Bedro­hung der Mensch­heit durch (men­schen­ge­mach­te) Natur­ka­ta­stro­phen spie­geln auch die nächs­ten Sta­tio­nen. Am inten­sivs­ten wer­de ich dar­an erin­nert, als ich die zahl­rei­chen Samen und Ker­ne wahr­neh­me, die in einen Ple­xi­glas­vor­hang ein­ge­schweißt wurden.

Und nicht nur hier über­kommt mich das Gefühl, dass "Gesi­cher­tes Gelän­de" eine Auf­for­de­rung ist, gegen­wär­ti­ge Glau­bens­sät­ze infra­ge zu stel­len. Denn die Sorg­lo­sig­keit und Igno­ranz, mit der die Mensch­heit der Natur, begeg­net, schlägt immer öfter mit Unsi­cher­heit auf uns zurück. 

Astrid Priebs-Trö­ger

06. November 2025 von Textur-Buero
Kategorien: Allgemein, Ökologie, Performance | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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