Die Zeit ist reif!
Das personifizierte Böse ist riesengroß. Jedenfalls in Neville Tranters Puppenspiel "Babylon". Mit funkelnden, roten Augen, gewaltigen Krallen und schwarzen Flügeln tritt der gewaltige Teufel noch vor Gott auf. Und beide sind auf der Suche nach der gleichen Person: INRI Corpus Christi. "Time has come" posaunt der Gehörnte und seine Augen glühen kampfeslustig.
Gott ist nicht tot aber senil
Gott hingegen ist bei Neville Tranter zwar nicht tot, aber doch ziemlich in die Jahre gekommen – und mit zerzaustem Haupthaar und im weißen langen Hemd auch äußerlich auf dem besten Weg in die Senilität. Sein Helfer Uriel, der Engel des Lichts, ermahnt ihn, endlich einige Weltprobleme beim Schopfe zu packen, obwohl er schon lange weiß, dass gerade dies nicht auf der Agenda seines Herrn steht. Doch Uriel hat noch eine Botschaft, die langsam aber sicher auch den Dementen erreicht: Dein Sohn ist in Gefahr!
Das wirkt und so treffen sich Vater und Sohn nach mehr als zweitausend Jahren Abstinenz endlich in Nordafrika wieder. Der grünäugige, rothaarige Sohn, wie ein Hippie gewandet und immer noch an love and peace glaubend, führt ein possierliches Schaf namens Binky mit sich, dem er nach den heißen Wüstenjahren frisches grünes Gras in Aussicht stellt. Nach "Babylon" – ins gelobte Land – will der kindlich wirkende, gute Hirte mit Binky reisen, doch das letzte Boot dorthin ist schon lange voll.
Uralter Vater-Sohn-Konflikt
Neben Gottes gerade wiedergefundenem Sohn tummeln sich noch ein larmoyanter Jude mit Hündchen, eine uralt gewordene Schehezarade und ein alleinreisendes schwarzes Kind mit blonden Haaren am sonst menschenleeren Strand – sie alle sind vor irgendetwas oder irgendwem auf der Flucht und die gelobte Stadt ist wirklich ihre letzte Hoffnung.
Neville Tranter, der vor sechs Jahren mit "Mathilde" und "Punch & Judy in Afghanistan" mit seinen Klappmaulpuppen bei Unidram gastierte, hat nichts von seinem bitterbösen Humor eingebüßt. In Bezug auf die Migrationsbewegungen der vergangenen zwei Jahre bleibt einem bei dem ständigen "Das Boot ist voll"- Gerede des arabischen Schleppers das Lachen geradezu im Halse stecken. Und wenn der siegesgewisse Satan "Somewhere" aus der "West Side Story" höhnisch krächzend anstimmt, kann man auch im Theater das Fürchten lernen.
Das Boot ist voll und das Böse allgegenwärtig
Doch für Jesus, der vorhat, "zum zweiten Mal die Welt zu retten" – was ihm der Engel seines Vaters im Traum ins Ohr geflüstert hat – ist kein Platz im Kahn und auch Tiere werden von den geldgierigen Kapitänen nicht befördert. Auf dem Höhepunkt des einstündigen virtuosen Puppenspiels, in dem Tranter alle acht Gestalten allein bewegt, weiß man nicht genau, ob man dies feiern oder betrauern soll. Denn: dieser letzte Kahn wird bombardiert und geht unter – mit Mann und Maus.
Der Sohn muss endlich den Vater beerben
Aber so einfach macht es Tranter seinen Figuren und auch den Zuschauern nicht. Wenn schon Gott nicht handelt, mutiert eben ein kleines Schaf zum Retter. Zumindest für den Sohn. Denn da Jesus und Binky unzertrennlich sind, landen sie nicht auf See, sondern im Gästezimmer nebenan. Und es besteht die klitzekleine Chance, dass der Sohn endlich den Vater beerbt. "My time has come", sagt der Junge nicht nur einmal. Bleibt zu hoffen, dass diesem Wollen bald Taten folgen.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Artikel erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 19.02.18.