Große Schrift und kurze Sätze
Lesen ist immer eine gute Idee – auch in "Corona"-Zeiten. Doch was tun die, die mit Lernschwierigkeiten leben oder die deutsche Sprache noch nicht oder nicht mehr gut beherrschen? Und trotzdem gerne selber lesen oder vorgelesen bekommen möchten. Möglichst etwas anderes als Kinderbücher!
Für diese Menschen – inklusive der über sechs Millionen funktionalen Analphabeten in Deutschland – gibt es seit einiger Zeit Bücher in sogenannter Einfacher Sprache und auch Verlage, die solche Bücher verlegen. Die Berliner "naundob"-Edition (gesprochen: na und ob) ist einer von ihnen. Uta Lauer hat ihren inklusiven Verlag 2015 in Berlin gegründet.
Zurzeit hat sie Bücher von neun Autor*innen im Programm, mit Themen, die von einer Kindheit im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit bis hin zu gegenwärtigen Geflüchtetenschicksalen oder einem Gartenbuch in Einfacher Sprache reichen. Angefangen hat alles jedoch mit einer prämierten Liebesgeschichte.
Die Schriftstellerin Andrea Lauer erzählt in "Olga und Marie" ungemein einfühlsam, wie sich beide jungen Frauen ineinander verlieben. Und wie schwierig es für sie ist, diese Liebe auch zu leben. Denn Olga und Marie stehen auch als Volljährige unter der Vormundschaft ihrer Eltern und dürfen nicht selbst entscheiden, ob und wie sie zusammenleben.
Etwas, das beispielsweise auch junge Menschen mit Down-Syndrom betrifft. Von Andrea Lauer stammt auch die Geschichte "Es ist Zeit". Auch sie erzählt vom Zusammenleben zweier Menschen. Nämlich dem von Frank und seiner Mutter. Und davon, wie es sich anfühlt, wenn die Mutter plötzlich stirbt. Und wie schwierig es für Frank ist, diese Situation zu verarbeiten, dafür Worte zu finden und letztlich auch zu handeln.
Es ist gerade in diesen Büchern besonders berührend, wie sehr die Autor*innen in die jeweiligen Lebenswelten von Menschen mit Behinderungen eintauchen können und wie es ihnen gelingt, diese und das Denken und Fühlen der Protagonist*innen auch für uns Leser*innen ohne Behinderungen ungemein plastisch werden zu lassen.
"Unsere Autor*innen schreiben ihre Texte direkt in Einfacher Sprache", sagt Uta Lauer und "sie orientieren sich an der Lebensrealität der zukünftigen Leser*innen." Dies ist eine Besonderheit bei "naundob", denn es gibt z. B. im Cornelsen-Verlag auch "Übersetzungen" beispielsweise von Jugendbuchklassikern in Einfache Sprache.
Klasse ist auch, dass mit den inzwischen fünfzehn verlegten Büchern beinahe alle Altersgruppen angesprochen und eine große Vielfalt von Themen behandelt werden. Dazu zählt auch Doris Bewernitz‘ ungemein poetische Geschichte "Martha auf dem Schwein", die liebevoll vom Leben und Sterben der 90-jährigen Hauptheldin erzählt.
Und die vom Klischee "Große Schrift, kurze Sätze, einfache Inhalte" meilenweit entfernt ist. Es braucht allerdings ein wenig Umstellung, sich an das andersartige Schriftbild der Geschichten – serifenfrei, 14 Punkt groß und eineinhalbzeilig geschrieben – zu gewöhnen. Die Inhalte beeinträchtigt dies in keinem Fall. Sondern die Anforderungen, die an Einfache Sprache gestellt werden, tragen vor allem dazu bei, besonders klar und pointiert zu erzählen.
Astrid Priebs-Tröger
Hier geht es zur Webseite der "naundob"-Edition: https://www.naundob.de/