Männer in Salzsäure
Der Wettergott liebt die Frauen. Zumindest diejenigen, denen er am 6. September auf dem Potsdamer Pfingstberg spätsommerliche Temperaturen und Abendrot bescherte. Fast zweihundert waren gekommen, um das Jubiläums-Highlight des inzwischen 20. Festivals der Frauen zu genießen: Die rabenschwarze und bittersüße "Witwendramen"-Lesung, die Katharina Thalbach gemeinsam mit Tochter Anna und Enkelin Nellie bestritt.
Zum ersten Mal in dieser Konstellation, was eine spannungsvolle theatralische Auseinandersetzung versprach. Denn wenn drei Frauengenerationen der Jahrgänge 1954, 1973 und 1995 aufeinandertreffen, müssen – bei aller Liebe! – irgendwann auch die Reibungsflächen zwischen ihnen sichtbar werden. Doch zuerst stolperten alle Drei schwarz gewandet – die kleine rundliche Alte tonangebend voran – zu ihrem Auftrittsort direkt vor dem schmiedeeisernen Tor des romantischen Belvederes.
"Witwendramen" von Fitzgerald Kusz ist eine grandiose Materialsammlung zum Thema Witwen, die einer Vollblutkomödiantin wie Katharina Thalbach jede Menge Futter bietet. Sie hielt sich dabei weniger an die berühmten Künstlerinnen- und Politikerwitwen in der Vorlage als an die, die jahrzehntelang unter "ihrem" Helmut gelitten haben. Katharina Thalbach kalauerte, jammerte und fluchte sich durch fast alle bitterbösen Männerklischees und nicht nur einmal blieb frau dabei das Lachen buchstäblich im Halse stecken.
Beispielsweise, wenn es um die eheliche Nötigung zum Sex und die angewendete Gewalt dabei geht. Doch, und das macht(e) diese "Witwendramen" überhaupt erst "konsumierbar", auch die Frauen bekommen ihr Fett ab! Stichworte: Opferlämmer, Nebenbuhlerinnen und Erbschleicherinnen. Denn die Nachgeborenen – hier: Anna und Nellie – haben überhaupt kein Verständnis (mehr) dafür, wieso sich frau so lange unter die Knute eines Bilderbuchmachos wie Helmut fügen konnte.
Beide leb(t)en fast auf Augenhöhe mit Männern und haben zum Glück auch ein entspannteres Verhältnis zur Sexualität als diese (Groß-)Mutter. Herrlich die Cunnilingus-Szene oder die mit dem angehimmelten Karstadt-Bodybuilder-Nachbarn. Und wenn die Alte ihr Elend andauernd in "Kleinem Feigling" ertränkt, haben die Jungen im Laufe des Abends immer weniger Empathie dafür. Gut so, denn "Männer in Salzsäure" als gelöstes Problem zu betrachten, hilft heutzutage niemandem wirklich weiter!
Doch wenn die Thalbachs diese und andere Pointen in hoher Frequenz platzieren, dazu singen und miteinander granteln, gehörte an diesem fulminanten Theaterabend nicht nur, wie immer beim Festival, ausschließlich Frauen die Bühne, sondern das "befreiende" Lachen setzt möglicherweise Energien frei, noch bestehende Probleme bei der Gleichstellung der Geschlechter – auch in den eigenen vier Wänden – in Angriff zu nehmen. Dafür gab‘ s einigen Jubel und stehende Ovationen am Ende.
Astrid Priebs-Tröger