Ich und Du
Theater Stap war zum ersten Mal bei den Potsdamer Tanztagen zu Gast. Das wäre an sich nicht der Rede wert, wenn es sich bei den belgischen Performer*innen nicht um Menschen mit sogenannten intellektuellen Beeinträchtigungen handeln würde.
Vier Frauen und fünf Männer bewegen sich zu Klassischer, Rock- und Schlagermusik – so wie sie es können und nicht, wie es gesellschaftliche oder kulturelle Normen vorgeben. Das ist nicht die "hohe" Bewegungskunst, die sie aufführen, doch augenblicklich spürt man, wie sehr sie diese Körperarbeit begeistert und verbindet. Und man sieht Bewegungsqualitäten, die man ansonsten kaum in unserer segregierten Gesellschaft wahrnimmt.
"To Belong" bedeutet gehören (zu) und zugeordnet werden in einem. Und besser hätte man diese Arbeit von Koen de Preter nicht betiteln können. Denn die Darsteller*innen von Theater Stap gehören durch ihre Theaterarbeit zusammen und werden gleichzeitig aufgrund ihrer Behinderung einer Gruppe zugeordnet und so mit einem (ausschließenden) Etikett versehen.
Und genau dies wird ihnen nicht gerecht. Das ist in dieser ungemein berührenden Aufführung vom ersten Moment an zu spüren. "Come as you are" heißt der Nirvana-Eröffnungssong, mit dem sie den Bühnenraum erobern. Und es ist ein Geschenk, dass die kleine ältere Frau in ihrer "Langsamkeit" buchstäblich immer wieder aus der Reihe tanzen darf.
Der überwältigendste Moment des Abends wird durch ein wildes Schlagzeugsolo eingeleitet. Frauen und Männer entkleiden sich und stehen in Unterwäsche vor dem Publikum. Sie zeigen sich – und wir sehen uns: In ihrer/unserer Kraft und Schönheit aber auch in aller Unvollkommenheit, die das Leben für uns alle bereithält.
Diese Szene ist genauso radikal, wie das, was in Lia Rodrigues Aufführung "For the sky not to fall" zu erfahren war. Sie stellt genauso – wie das Einander-in-die Augen-sehen dort – eine tiefe Verbindung zwischen Menschen her und reißt so die „Grenzen“ zwischen ihnen nieder.
Danke, Koen de Preter und Ann, Jan, Peter, Els, Luc, Nancy, Leen, Jason und Marc, dass wir dies bei den 26. Potsdamer Tanztagen – zum ersten und zweiten Mal – erleben durften!
Astrid Priebs-Tröger