Kühle Leidenschaft

Korea hat eine jahr­tau­sen­de­al­te Tanz­tra­di­ti­on. Und nach­dem bei den Pots­da­mer Tanz­ta­gen 2011 zum ers­ten Mal eine korea­ni­sche Com­pa­gnie in der fabrik zu Gast war, konn­te man jetzt die Cho­reo­gra­fin Bora Kim aus Seo­ul mit zwei ihrer Arbei­ten ken­nen­ler­nen. Und das war eine sehr über­ra­schen­de, inten­si­ve und zugleich unge­mein inti­me Begegnung.

Über­ra­schend wegen der fast naht­lo­sen Ver­schmel­zung von fern­öst­li­cher und west­eu­ro­päi­scher For­men­spra­che und intim, weil die Cho­reo­gra­fin im ers­ten Stück "A long talk to ones­elf" sehr per­sön­li­che Erin­ne­rungs­de­tails offen­bar­te, die für sie als Kind trau­ma­ti­schen Cha­rak­ter hat­ten. Doch zuerst steht sie nur mit einem haut­far­be­nen Body beklei­det, der ihre Nackt­heit mehr zeigt als ver­deckt, ganz hin­ten auf der Büh­ne und kommt nur sehr lang­sam nach vorn, dort­hin, wo ein Mikro­fon steht.

Tail Language/Bora Kim/Foto: Éli­se Scheider

Verschmelzung von fernöstlicher und europäischer Formensprache

Auf­fäl­lig ist ihre ins­ge­samt sehr redu­zier­te Bein­ar­beit, wäh­rend der Ober­kör­per und ins­be­son­de­re die Arme deut­lich mehr Dyna­mik zei­gen. Es ist zu sehen und zu spü­ren, dass die­ser Weg nicht leicht ist für sie. Par­al­lel zu ihrem kör­per­li­chen Ver­hal­ten­sein über­schwemmt ein unun­ter­bro­che­ner Rede­schwall die Büh­ne. Die­ses lan­ge Gespräch mit sich selbst, fin­det auf Korea­nisch statt – kei­ne Chan­ce, es auch nur ansatz­wei­se zu verstehen.

Lesen und Ver­ste­hen kann man hin­ge­gen den nächs­ten Teil des Selbst­ge­sprä­ches. Jetzt erscheint Kim in einem schwarz-weiß Video auf der Büh­nen­rück­wand und erzählt von ihrer Groß­mutter. Davon, das die­se ihr den Namen "Bora", was "Sie­he!" bedeu­tet, gab. Und auch über ihr dra­ma­ti­sches Ende, das durch einen Unfall oder einen Krieg aus­ge­löst wur­de. Ein schreck­li­ches Bild – die Beklei­dung der Groß­mutter war dadurch mit ihrer Haut ver­schmol­zen, was eine Wir­kung von Napalm sein kann – prägt sich ein.

Doch schon in der nächs­ten Sequenz – Bora Kim ist in einem wei­te­ren Video mit zwei Tän­zern zu sehen – spricht sie dar­über, dass alles, was sie dazu und davor erzähl­te, eine Illu­si­on sei. Kein Wun­der, denn zur Zeit des Korea­krie­ges (1950–33) war die Cho­reo­gra­fin noch gar nicht auf der Welt. In "A long talk  to ones­elf" wird Geschich­te, die abge­legt ist in der eige­nen Erfah­rung, durch Bewe­gung zur Schau gestellt. Am Ende wird die Tän­ze­rin wie eine leb­lo­se Glie­der­pup­pe von der Büh­ne getra­gen. Und ihr (Angst-)Schweiß, den sie ver­gos­sen hat, ein­fach weggewischt.

Tail Language/Bora Kim/Foto: Éli­se Scheider

Viel Anmut und urplötzlich Explosivität

Nach einer kur­zen Pau­se in "Tail Lan­guage" (‚Schwanz‘-Sprache) eine ganz ande­re Sze­ne­rie. Fünf gänz­lich weiß­ge­klei­de­te Frau­en betre­ten nach und nach die wei­ße Büh­ne. Mit viel Anmut und Gra­zie imi­tie­ren sie die Bewe­gungs­spra­che von Kat­zen. Sie haben wahn­sin­nig lan­ge Bei­ne und Arme dabei und ihre Rücken sind unge­mein dehn­bar. Auch hier eine star­ke Prä­senz der Kör­per, und Ruhe, die sich urplötz­lich in Explo­si­vi­tät ent­lädt. Die Tän­ze­rin­nen zei­gen in ihrem geschmei­di­gen Tanz wenig Nähe zuein­an­der, dafür küh­le Distanz, ja Ver­ein­ze­lung und auch Einsamkeit.

Der ein­zi­ge Tän­zer im Stück bringt nach und nach stei­fe, wie klei­ne wei­ße Zel­te anmu­ten­de Män­tel auf die Büh­ne. Und es beginnt ein ande­res Spiel. Die kat­zen­haf­ten Frau­en nähern sich den auf­ge­stell­ten Beklei­dungs­stü­cken, man­che schlüp­fen ver­spielt mit den Füßen in die Ärmel, ver­ste­cken sich drun­ter, wickeln sich dar­in ein. Doch der Kon­trast zur vor­he­ri­gen Ener­gie könn­te kaum grö­ßer sein. Die "schüt­zen­de" Hül­le schränkt den Kon­takt zuein­an­der noch mehr ein – bald lie­gen vier Tän­ze­rin­nen mit ihren Man­tel-Pla­nen bei­na­he wie Obdach­lo­se am Boden – jede für sich.

Tail Language/Bora Kim/Foto: Éli­se Scheider

Gegen Ende tan­zen sie­ben – mit wil­den Mäh­nen und bei­na­he krie­ge­ri­scher Ener­gie. Und deut­lich wird vor allem ihre (küh­le) Lei­den­schaft für den Tanz.  Zum Schluss müs­sen sich die korea­ni­schen Tän­ze­rin­nen selbst den Tanz­bo­den unter den Füßen weg­rei­ßen, um nicht immer wei­ter­zu­ma­chen. Begeis­te­rung und Bei­fall im Saal für eine inten­si­ve Auf­füh­rung aus Südkorea.

Astrid Priebs-Trö­ger

 

 

 

 

 

 

 

 

07. Juni 2018 von admin
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