Ausgeliefert sein
Es gibt Orte, da kann man sich Tanztheateraufführungen eigentlich nicht vorstellen. Die Gedenkstätte in der Potsdamer Lindenstraße 54/55 ist so ein Ort. "Choreografische Führung" hat die spanische Choreografin Jara Serrano dann auch ihre Performance genannt, die im Rahmen des 7. Made-in-Potsdam-Festivals dort aufgeführt wurde.
Die 1983 in Madrid geborene Serrano, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, hat sich schon vorher mit den Themen Isolation, körperliche Gewalt und Angst beschäftigt, wie sie im Publikumsgespräch nach der Performance sagte. Und dass sie sich für kleine Räume interessiert. Der Schritt, diese Themen dann in einem Objekt wie dem Gefängnis in der Lindenstraße umzusetzen, sei für sie kein großer gewesen.
Isolation, körperliche Gewalt und Angst
"Der Ort hat mich genommen", sagt Serrano und jeder, der schon in der Gedenkstätte war, versteht sofort, was sie meint. Die Besucher der Performance, die in "In anderen Händen, mit anderen Körpern" heißt, sollen sich zu Beginn einzeln hintereinander aufstellen und der schwarzgekleideten Performerin, die schweigend den Zug anführt, folgen. Feuchtkalte Luft schlägt ihnen entgegen, als sie den nur spärlich beleuchteten unteren Zellentrakt betreten.
Ohne Erklärungen geht es treppauf und treppab, die gleichförmigen Gänge entlang, in denen nur die winzigen Spione an den Zellentüren leuchten. Es riecht muffig, mal ist es zugig, mal kommt Einem warme abgestandene Luft entgegen. Ab und zu schlägt eine Eisentür ins Schloss und ansonsten sind nur die Schritte der zügig laufenden Besucher zu hören.
Wie wird das enden, fragt man sich und je länger die Aufführung läuft, wann komme ich hier wieder raus? Denn je länger man läuft, umso flacher atmet man, der Hals wird enger und die Hände feucht. Beim Treppensteigen bleibt man nahe beim Geländer, denn die Angst daneben zu treten, stellt sich langsam aber sicher ein.
Den Willen von Inhaftierten brechen
Desorientierung, Isolierung und Angst sind auch die Mittel gewesen, mit denen man den Willen der Inhaftierten in dem ehemaligen Stasi-Gefängnis brach. Erhard Neubert war zu DDR-Zeiten selbst dort inhaftiert und sagt im Gespräch, dass er vorher nicht geglaubt habe, dass man diese Gefühle mittels Tanz vermitteln könnte.
Doch Serranos Performance bescheinigt er genau dies. Die Tänzerinnen Lea Svenja Dietrich, Johanna Jörns und Christina Wüstenhagen sind genauso wie der Musiker Sean Alexander daran maßgeblich beteiligt. Während man die Tänzerinnen, oft nur mit Unterwäsche bekleidet, im Vorbeigehen nur schemenhaft in einzelnen Zellen sieht, treibt die düster wirkende Tonspur das eigene Kopf-Kino kräftig an.
Einen Bogen vom Gestern ins Heute schlagen
Man atmet merklich auf, als man wieder in der eisigkalten Winterluft steht. Denn das, was man gerade mit angespannten Sinnen erfahren hat, triggert eigene Erfahrungen von Ausgeliefertsein nachhaltig an. Und – das wird auch während des Gesprächs deutlich – es schlägt einen beunruhigenden Bogen vom Gestern ins Heute.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Text erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 15.01.18