Romeo meets Julia
Eigentlich braucht man gar nicht in den Sommerurlaub zu fahren, wenn man in Potsdam lebt. Es reicht, sich am Ufer in der Schiffbauergasse niederzulassen. Wenn dann dort noch Kultur geboten wird, wie Anfang August die Premiere des Tanztheaters "Romeo meets Julia II" der Oxymoron Dance Company, ist das Feriengefühl nahezu perfekt.
Doch: die Seebühne hinter dem Hans Otto Theater (HOT) wird leider viel zu selten bespielt. Die Potsdamer Choreografin Anja Kozik tut dies jedoch schon zum zweiten Mal; schon der erste Teil von "Romeo meets Julia" kam hier zur Premiere. Auch jetzt sind die Stufen dicht besetzt.
Malerisches Tableau sehnsuchtsvoll in die Ferne blickender Gestalten
Gleich am Anfang eine schöne Idee: Die Mitwirkenden – fünf Tänzer*innen aus aller Welt und zwei HOT-Darsteller*innen – kamen vor dem Beginn einzeln in die Nähe der oder auf die Bühne. So entstand nach und nach ein malerisches Tableau sehnsuchtsvoll in die Ferne blickender Gestalten.
Durchziehende Vogelschwärme und leuchtender Abendhimmel inklusive. Junge Frauen und Männer in sommerlich leichter Kleidung, diese zumeist in schwarz-weiß gehalten. Die Ausschau halten nach der oder dem Richtigen. Denn natürlich geht es, in der schon im Namen auf die Shakespeare-Tragödie Bezug nehmenden, Tanz-Text-Musik-Collage, um die Liebe.
"Weltende" als Grundtenor
Eines der stärksten und oft genug auch der flüchtigsten menschlichen Gefühle! Die Schauspieler Juliane Götz und Rene Schwittay geben mit dem wechselweise vorgetragenen Text "Weltende" von Else Lasker-Schüler auch gleich den Grundtenor der halbstündigen Inszenierung vor: "Es ist ein Weinen in der Welt/Als ob der liebe Gott gestorben wär/Und der bleierne Schatten, der niederfällt/Lastet grabesschwer/ Komm, wir wollen uns näher verbergen/Das Leben liegt in aller Herzen/Wie in Särgen./Du! wir wollen uns tief küssen/Es pocht eine Sehnsucht an die Welt/An der wir sterben müssen."
Zum Glück gibt es in der vorwiegend melancholisch gestimmten Collage auch immer wieder kurze Abschnitte, in der Leichtigkeit, jugendlicher Übermut und ebensolche Dynamik überwiegen. Dann werden aus den Vereinzelten zumindest beim Tanzen Paare, die eine gemeinsame (Körper-)Sprache finden oder wenigstens Arm in Arm kurz zur Ruhe kommen im Kreislauf ihres ewigen Suchens.
Denn auf dem gegenwärtigen Markt der (Liebes-)Möglichkeiten ist es gar nicht so leicht, eine Entscheidung zu treffen und schon gar keine fürs Leben. Die sich seit einhundert Jahren verändernden Geschlechter- rollen tun ihr Übriges. Einfühlsam untermalt wird die Inszenierung durch elektronische Klänge von Christoph Kozik und Live-Musik am Kontrabass von Marcel Siegel.
Zu einseitige Sicht auf "die" Liebe?
Doch vor allem zeigt Anja Kozik Getriebene, die vor sich selbst und anderen in Ober- flächlichkeiten flüchten. Und dabei das blutrote Herz, das auf Juliane Götz’ weißem Hemd beinahe wie ein Menetekel leuchtet, schlichtweg übersehen. Weil sie, wenn überhaupt, nur sich selbst sehen und wahrnehmen.
Das schmerzt beim Zusehen. Doch man fragt sich auch, ob diese Sicht nicht zu einseitig ist. Denn noch immer gibt es Paare, die auch im fortgeschrittenen Alter noch zusammen sind. Wenn man ihre Verbundenheit spürt, glaubt man auch wieder an die Kraft der Liebe. Die es schafft, in den jeweiligen Höhen und Tiefen des Lebens kraftvoll oder still mitzuschwingen.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Text erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 05.08.2017