Schrecklich schöne Denkanstöße
Der Klimawandel ist in vieler Munde, doch die Wenigsten machen sich wirklich ein Bild davon. Die Ende November eröffnete Ausstellung "Wenn aus Packeis Softeis wird" in der Potsdamer ae-Galerie versucht, dem eigenen Vorstellungsvermögen auf die Sprünge zu helfen.
Zehn Künstler:innen präsentieren dort Fotografien, Malerei, Objekte, Grafiken und Installationen, die sich mit den weltweiten Auswirkungen des Klimawandels – wie schmelzende Gletscher auf Island oder auftauende Permafrostböden in Alaska – befassen.
Die Arbeiten dokumentieren, recherchieren, fantasieren und karikieren. Es ist eine Ausstellung mit regionaler und internationaler Beteiligung, die Angelika Euchner versammelt hat. Der 37-jährige Potsdamer Adam Sevens fotografierte 2021 den schmelzenden Rhone Gletscher und dokumentiert dabei den verzweifelten menschlichen Versuch, diesen unumkehrbaren Vorgang durch großflächiges Abdecken mit hellen Planen aufzuhalten. Gleichzeitig zeigt er auch, wie dieses Katastrophenszenario Unmengen von Touristen anlockt.
Der inzwischen 87-jährige Kölner Fotograf Horst Hahn reist hingegen seit Jahrzehnten im Sommer nach Grönland. Nicht als Tourist, sondern er lebt mehrere Wochen dort und fotografiert u. a. die Mitternachtssonne und sogenannte kalbende Gletscher. Unlängst hat er seinen Enkel dorthin mitgenommen, um ihm den langsamen aber stetigen Verfall vor Ort zu zeigen.
Denn es ist ungeheuer schwer, die sich anbahnende und zugleich schon stattfindende ökologische Katastrophe in Echtzeit nachvollziehbar abzubilden. Auch die überwiegend ästhetisch "schönen" Exponate in der ae-Galerie zeugen davon.
Da sind beispielsweise die überwiegenden schwarz-weiß Fotografien der in New York lebenden Katie Orlinsky, die seit Jahren ein Dorf in Alaska fotografiert. Sie zeigt, wie spielende Kinder über Risse des aufgetauten Permafrostbodens springen. Und nur wenn man die Zusammenhänge kennt, ahnt man, dass dieses "Vergnügen" nur von kurzer Dauer ist.
Die als "Eiskönigin" bekannte Künstlerin Ilka Raupach hat anstelle von arktischen Eisplastiken diesmal einen imposanten sechs Meter langen Teppich aus Stoff gewebt, dessen blaue Streifen kaltes salzhaltiges Wasser symbolisieren, das sich mit Süßwasser vermischt (rosa Streifen). Was ebenfalls sehr ästhetisch aussieht aber in der Realität nicht (zu) oft passieren sollte.
Rainer Ehrt hingegen bringt die globale Nichtzusammenarbeit in Bezug auf den Klimawandel mit spitzer Feder direkt auf den Punkt: Die Menschheit tilgt sich, wenn sie nicht bald etwas gemeinsam unternimmt, selbst von diesem Planeten.
Weitere Denkanstöße gibt es auf zahlreichem ausliegenden Informationsmaterial, wo Sibylla Weisweiler zum Beispiel die Beerdigung des isländischen Gletschers Okjökull im Jahr 2019 und ihm folgender dokumentiert oder auch in drei Vorträgen, die die Ausstellung im Januar flankieren: Bereits am 10. Januar, um 19 Uhr referiert Prof. Dr. Torsten Albrecht vom PIK zum Thema "Eisdynamik".
Am 17. Januar, ebenfalls um 19 Uhr folgt ein von Vortrag Prof. Dr. Torsten Sachs vom GFZ Potsdam der "Mit der Polarstern im Packeis" war. Und der Komponist Thomas Gerwin bringt am 24. Januar um 19 Uhr sein Werk "Klima_H" für gefundene Objekte und Live-Elektronik in der ae-Galerie zur Uraufführung.
Dass mensch dem ganzen Desaster immer noch eine Krone aufsetzen kann, zeigt eindrucksvoll auch das "snowfarming"-Projekt von Andrea Juliette Grote, die in Österreich fotografierte, mit welchem technischen Aufwand Wintersport in den Alpen ab Ende Oktober ermöglicht wird. Auch dies wieder eine beeindruckende, fast poetische Inszenierung, die in der imposanten Berglandschaft nahezu majestätisch wirkt.
Astrid Priebs-Tröger