Vielfältige Erinnerungssplitter
In fünf Jahren ist der Osten länger tot als er existiert hat. Diese Feststellung am Anfang von "Ich bin…Ich war…Ich wollte…" mit Jördis Wölk und Bringfried Löffler trifft einen wichtigen Punkt.
Ihr "Nachhall der Wende – mit Musik und Gesang aus dieser und jener Zeit" – wurde am 9. November im Potsdamer Freiland aufgeführt und es tat gerade an diesem Tag gut, sich zu erinnern. Und dies mit allen Sinnen zu tun, denn das musikalisch-poetisch-philosophische Programm sprach viele verschiedene an.

Die Schauspielerin, die 1988 geboren wurde, trat mit dem Musiker (Jahrgang 1956) in einen liebevoll-ironischen Generationen-Dialog ein und auch fünf Zeitzeug:innen kamen in vielen eingestreuten Erinnerungssplittern zu Wort.
Doch der direkte Dialog zwischen Wölk und Löffler war besonders wohltuend. Denn es ging nicht um die "eine Wahrheit" sondern um viele viele Zwischentöne. Und die kamen in ihren zahlreichen Wortspielereien und vor allem in beider Gesang zum Ausdruck.
Das Programm begann mit dem mehrdeutigen "Gras in S." von Hans-Eckardt Wenzel, Jördis Wölk sang (natürlich) "Blue" aus Solo Sonny und auch Songs von Karussell, Renft und Gundermann wurden einzeln oder gemeinsam dargeboten.

Und es wurde (mir) einmal mehr deutlich, welche großartigen Künstler:innen damals lebten. Und wie sehr mich dieser Qualitätsanspruch (und die Rolle von Kunst in der Gesellschaft) bis heute prägen.
Doch natürlich ging es in "Ich bin…Ich war…Ich wollte…" auch um die Schattenseiten der damaligen Gesellschaft und um Gefühle/Erlebnisse, die Ostdeutschland kurz vor und nach der Wende prägten. Der ungeheure Exodus von vielen jungen Menschen über Ungarn und das großartige, leider sehr kurz andauernde Gefühl der Hiergebliebenen, eine andere neue Gesellschaft endlich selbst gestalten zu können.
Aber es ging auch am Beispiel des Kinderliedes "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht" sowohl um die unsäglich einseitige Rolle der Volksbildung als auch die eines kitschigen tradierten Frauenbildes.

Herrlich dagegen das interaktive Abkürzungsquiz und das Verlesen der Besucher:innen-Antworten auf den vorher ausgegebenen Postkarten, wo auf die Fragen was bin ich, was war ich, was wollte ich zu antworten war, was seitens des Publikums mit großem Witz und ebensolchem Einfallsreichtum geschah.
Und Klasse auch die mehrdeutige Abschlusssentenz: Jetzt stehen wir hier und sind so weit gekommen und alles, was wir sehen, ist so schön verschwommen. Womit man wieder auf den Anfangssatz und das andauernde Fehlen von Utopien verwiesen wurde.
Astrid Priebs-Tröger
