Zerrissenes Paradies
Sehr sinnlich wurde am 24. Mai eine Fotoausstellung georgischer Fotokünstler in der ae-Galerie eröffnet. Nämlich mit Kostproben georgischen Weiß- und Rotweins und (Antikriegs-) Liedern des unvergleichlichen Chansonniers Bulat Okudschawa, der einen georgischen Vater und eine armenische Mutter hatte.
Gerade mal zwei Dutzend Fotografien der in Tiflis lebenden Fotografin Natela Grigalashvili und des in St. Petersburg geborenen Fotografen Evgeny Makarov sind jetzt in den Galerieräumen bis zum 5. Juli zu sehen, doch sie zeigen eindrucksvoll "ein kleines Paradies mit vielen Gesichtern".
Da wären zuerst die zahlreichen grünen Berge mit den darauf sitzenden Frauen(gruppen) in bunten Trachten oder schwarzen Gewändern, die Natela Grigalashvili abgelichtet hat. Schon lange zieht es die bekannte georgische Fotografin in abgelegene Gegenden ihres Heimatlandes, in denen Minderheiten wie die Adscharen, Swanen und Duchoborzen leben.
Natela Grigalashvilis Fotografien zeigen sowohl jahrhundertealte kulturelle und religiöse Traditionen sowie dörfliche Lebensweisen, die im 21. Jahrhundert – durch den Wegzug der Jungen in die Städte – zu versiegen drohen als auch die Resilienz von Frauen und ihre Anpassungsfähigkeit an die Gegenwart.
Von diesen weiblichen Gruppen gehen eine starke (archaische) Kraft und so etwas wie ein Lobgesang auf die heimatliche Verwurzelung aus.
Als starken Kontrast dazu erlebt man die Fotos von Evgeny Makarov, der Menschen porträtiert, die in Städten leben. Auf seinen Fotos sind die gesellschaftlichen und kulturellen Transformationen, die das Land, das nur so groß wie Bayern ist, seit den 1920er Jahren erlebte, als die erste georgische Republik von den Bolschewiki besetzt wurde, zu erahnen.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sucht Georgien – begrenzt von Russland, der Türkei, Armenien und Aserbaidschan – (s)einen eigenen Weg und wird dabei geprägt und innerlich zerrissen von starken prorussischen Ambitionen und der Hinwendung (vor allem der Jugend) zu Europa.
Auf Makarovs Fotos sieht man auch einen älteren Mann in Gori, der noch tief in der stalinistischen Vergangenheit gefangen ist – Stalin, der eigentlich Dschughaschwili hieß, war selbst Georgier – aber auch Brücken in eine andere Zukunft werden gezeigt.
Diese weisen auf den Fotos Makarovs jedoch nicht nur in Richtung Europa, sondern zeigen deutlich den chinesischen Einfluss in dieser Gegend, die Teil der Neuen Seidenstraße sein wird. Und deren großartige ursprüngliche Landschaft jetzt von gigantischen Tunnelröhren durchbohrt und markanten Betonpfeilern zerstört wird.
Diese überaus kontrastreiche, sehr sehenswerte Exposition wird begleitet von einem filmischen Programm. Weitere Informationen: http://www.ae-galerie.de/
7. Juni | 19 Uhr | Filmabend
»Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?«
Buch und Regie: Alexandre Koberidze | D/GE 2021 | 142 min
Astrid Priebs-Tröger