Zerrissenes Paradies

Sehr sinn­lich wur­de am 24. Mai eine Foto­aus­stel­lung geor­gi­scher Foto­künst­ler in der ae-Gale­rie eröff­net. Näm­lich mit Kost­pro­ben geor­gi­schen Weiß- und Rot­weins und (Anti­kriegs-) Lie­dern des unver­gleich­li­chen Chan­son­niers Bulat Okud­scha­wa, der einen geor­gi­schen Vater und eine arme­ni­sche Mut­ter hatte.

Gera­de mal zwei Dut­zend Foto­gra­fien der in Tif­lis leben­den Foto­gra­fin Nate­la Gri­ga­lash­vi­li  und des in St. Peters­burg gebo­re­nen Foto­gra­fen Evge­ny Maka­rov sind jetzt in den Gale­rie­räu­men bis zum 5. Juli zu sehen, doch sie zei­gen ein­drucks­voll "ein klei­nes Para­dies mit vie­len Gesichtern".

"Mus­li­mi­sche Adscha­ren ent­span­nen nach dem Koran­un­ter­richt" , 2021, Nate­la Grigalashvili

Da wären zuerst die zahl­rei­chen grü­nen Ber­ge mit den dar­auf sit­zen­den Frauen(gruppen) in bun­ten Trach­ten oder schwar­zen Gewän­dern, die Nate­la  Gri­ga­lash­vi­li abge­lich­tet hat. Schon lan­ge zieht es die bekann­te geor­gi­sche  Foto­gra­fin in abge­le­ge­ne Gegen­den ihres Hei­mat­lan­des, in denen Min­der­hei­ten wie die Adscha­ren, Swa­nen und Duch­obor­zen leben.

Nate­la Gri­ga­lash­vi­lis Foto­gra­fien zei­gen sowohl jahr­hun­der­te­al­te kul­tu­rel­le  und reli­giö­se Tra­di­tio­nen sowie dörf­li­che Lebens­wei­sen, die im 21. Jahr­hun­dert – durch den Weg­zug der Jun­gen in die Städ­te – zu ver­sie­gen dro­hen als auch die Resi­li­enz von Frau­en und ihre Anpas­sungs­fä­hig­keit an die Gegenwart.

Von die­sen weib­li­chen Grup­pen gehen eine star­ke (archai­sche) Kraft und so etwas wie ein Lob­ge­sang auf die hei­mat­li­che Ver­wur­ze­lung aus.

"Zor­ti­keli in Abend­stim­mung" 2015, Adscha­ri­en, von Nate­la Grigalashvili

Als star­ken Kon­trast dazu erlebt man die Fotos von Evge­ny Maka­rov, der Men­schen por­trä­tiert, die in Städ­ten leben. Auf sei­nen Fotos sind die gesell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Trans­for­ma­tio­nen, die das Land, das nur so groß wie Bay­ern ist, seit den 1920er Jah­ren erleb­te, als die ers­te geor­gi­sche Repu­blik von den Bol­sche­wi­ki besetzt wur­de, zu erahnen. 

Seit dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on sucht Geor­gi­en – begrenzt von Russ­land, der Tür­kei, Arme­ni­en und Aser­bai­dschan – (s)einen eige­nen Weg und wird dabei geprägt und inner­lich zer­ris­sen von star­ken pro­rus­si­schen Ambi­tio­nen und der Hin­wen­dung (vor allem der Jugend) zu Europa.

"Brü­cken­pfei­ler bei Tif­lis", Teil der Neu­en Sei­den­stra­ße, 2022, Evge­ny Maka­rov
 

Auf Maka­rovs Fotos sieht man auch einen älte­ren Mann in Gori, der noch tief in der sta­li­nis­ti­schen Ver­gan­gen­heit gefan­gen ist – Sta­lin, der eigent­lich Dschug­ha­schwi­li hieß, war selbst Geor­gi­er – aber auch Brü­cken in eine ande­re Zukunft wer­den gezeigt.

Die­se wei­sen auf den Fotos Maka­rovs jedoch nicht nur in Rich­tung Euro­pa, son­dern zei­gen deut­lich den chi­ne­si­schen Ein­fluss in die­ser Gegend, die Teil der Neu­en Sei­den­stra­ße sein wird. Und deren groß­ar­ti­ge ursprüng­li­che Land­schaft jetzt von gigan­ti­schen Tun­nel­röh­ren durch­bohrt und mar­kan­ten Beton­pfei­lern zer­stört wird.

Die­se über­aus kon­trast­rei­che, sehr sehens­wer­te Expo­si­ti­on wird beglei­tet von einem fil­mi­schen Pro­gramm. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen: http://www.ae-galerie.de/

7. Juni | 19 Uhr | Film­abend
»Was sehen wir, wenn wir zum Him­mel schau­en?«
Buch und Regie: Alex­and­re Kobe­r­id­ze | D/GE 2021 | 142 min

Astrid Priebs-Trö­ger

29. Mai 2024 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Fotografie | Schlagwörter: , , , , , , | Schreibe einen Kommentar

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