Kreative Bürgerbeteiligung
Ist das Stadt oder kann das weg? – diese Frage stellt sich in Potsdam schon seit 1991, als der Theaterrohbau am Alten Markt abgerissen wurde. 17 Millionen Mark wurden dadurch "verbrannt" und 7.000 Tonnen Bauschutt entstanden.
Seit dieser Zeit – Potsdams Stadtparlament fasste damals einen Grundsatzbeschluss zur Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses – soll es auch dem Hotel Mercure, dem Terrassenrestaurant Minsk, der Fachhochschule und dem Wohnensemble Staudenhof u. a. an den Kragen gehen.
Die Kuratorengruppe Neudeuter um die Potsdamer Künstlerin Annette Paul lud am 28. und 29. Mai in das Schaufenster der Fachhochschule am Alten Markt ein und verband damit eine Einladung zum Innehalten.
Denn waren die Entscheidungen anfangs vor allem "ideologisch" geprägt, geht es inzwischen darum, etwas gegen die massive Privatisierung öffentlicher Grundstücke und Räume, die architektonische Auslöschung von Stadtgeschichte, unnötige Ressourcenverschwendung und für sozialverträgliches Wohnen zu tun.
Zu diesem Zweck haben sich Stadtplaner*innen und Potsdamer und internationale Künstler* innen zusammengetan und das Ausstellungswochenende im Schaufenster der Fachhochschule organisiert. Dieses wurde von einer Pink-Ball-Performance von Marìa Martìnez eingeleitet.
Die Performerin rollte, ausgehend vom Rechenzentrum in der Dortustraße, alle Gebäude, die auf der Liste stehen, mit dem Pink-Ball ab und hinterließ gleichfarbige Bänder, um die Dimension der Auslöschung bewusst zu machen.
Mehr als 150 Gäste wohnten im Anschluss der Vernissage in der Fachhochschule bei und konnten in dem zweigeteilten Raum sowohl den künstlerischen Umgang mit diesem Thema als auch die stadtplanerische Auseinandersetzung bzw. Bürger*innenbeteiligung nachvollziehen.
Am Eingang begrüßten einen die "Nachbarn", die die Fotografin Kathrin Ollroge 2011 im Staudenhof besucht und porträtiert hatte. Tom Korn steuerte Teppichobjekte vom „Minsk“ und der Schwimmhalle am Brauhausberg bei.
Speziell für den Anlass entwickelten Potsdamer und Berliner Künstler*innen unter dem Titel "Stein der Weisen" eine weitere Performance, die sich auf kreative Weise damit beschäftigt, wie man – sollte der großflächige Abriss stattfinden – aus dem Bauschutt quasi "Stroh" zu Gold spinnen könnte.
Auch hier gab es viele Perspektiven und jede Menge (auch skurrile) Zwischentöne zu entdecken – was ja die Idee des ganzen Projektes – und selbst wenn das Bürgerbegehren "Kein Ausverkauf der Potsdamer Mitte" scheitern sollte, doch ein Lichtblick ist.
Denn die Bürger*innenbeteiligung ist Ausdruck des demokratischen Selbstverständnisses der Potsdamer*innen und wenigstens in diesem Sinne hat sich der Ausspruch der Berliner Künstlerin Kiki Gebauer "Dies ist ein Geschenk – Wohl dem der es annimmt!" erfüllt. Gebauer wollte dies in großen Lettern an die Fachhochschule schreiben lassen, was ihr jedoch von Seiten der Stadt untersagt wurde.
Die Neudeuter haben diesen wunderbaren Impuls auf intellektuell-inspirierende Weise aufgegriffen und vielfältig umgesetzt. Dieses gute Beispiel sollte unbedingt Schule machen!
Text und Fotos: Astrid Priebs-Tröger