Gewaltige Innenschau
Während zur Eröffnung von Unidram viele Köpfe rollten, begann auch der zweite Abend mit einer ungeheuren Grausamkeit. In dem Stück "Agha Mohammad Khan" der Studententheatergruppe "Amata" aus Teheran, steht der persische Schah gleichen Namens im Mittelpunkt.
Dieser wurde 1746 im Alter von vier Jahren von Gegnern seines Vaters kastriert, um ihn als politischen Rivalen auszuschalten. In der Anfangsszene des Stückes steht jedoch der erwachsene junge Herrscher mit blutverschmierten weißen Kleidern vor dem Publikum, so als ob dies gerade geschehen wäre.
Innensicht eines Traumatisierten
Anders als in der historischen Überlieferung geht es in der Inszenierung nicht darum, die nachfolgenden Grausamkeiten des persischen Schahs zu erzählen, sondern um die Innensicht eines Menschen, dem ein furchtbares Leid geschehen ist. Dies wird nonverbal und mit starker körperlicher Präsenz aller Beteiligten, allen voran Amir Hossein Bagherian als Schah, dargestellt.
Die Studententheatergruppe, die sich 2015 an der Universität von Teheran gründete, sieht sich selbst als Mittlerin, um Theatertraditionen von Ost und West zu verbinden. Dies geschieht in mehrfacher Hinsicht. Sehr fremd und doch vertraut zugleich erscheint einem dieser atmosphärisch ungemein dichte und bedrückende Tagtraum des entmannten Herrschers.
Äußerlich funktioniert er – doch sein Körper erstarrt zur Hülle genauso wie sein ebenmäßiges Gesicht versteinert. Agha Mohammad Khan wird vermählt und regiert sein Land. Da bleibt so manches für den hiesigen Betrachter nur Zeichen, das der "Übersetzung" bedarf. Die Darstellung der nicht zustande kommenden Frauenbeziehungen ist jedoch nachfühlbar und universell.
Bild- und Tonwelten, die sich an der Videokunst Robert Wilsons orientieren
Auf einer zweiten (tonalen) Ebene und durch permanent eingeblendete, synästhetisch anmutende Videosequenzen (Kian Hossein und Arman Moghaddam) entsteht eine hochsensible Innenschau dieses unsagbar Verletzten. Diese Bild- und Tonwelten erscheinen als sehr europäisch und die Gruppe nennt Robert Wilsons Videokunst als eines ihrer Vorbilder.
Während ihre Spielweise – beinahe alles geschieht im Zeitlupentempo – an Zen-Buddhismus erinnert. Die Langsamkeit ermöglicht auch ohne Worte eine ungemein starke Präsenz und sie steht in starkem Kontrast zu den hochenergetischen, ständig wechselnden Abbildungen des Innenlebens.
Ost- und West-Theatertraditionen verbinden
Neben den Videobildern spielt die enervierende Toncollage, die am ehesten an einen Permanent-Tinnitus erinnert, eine wesentliche Rolle, den wirklichen Zustand des Traumatisierten zu erahnen. Es gibt Klänge, die an Acid Techno erinnern, Volksmusik verzerren und/oder ins Psychodelische abdriften.
Doch der eigentliche Höhepunkt ist der Schluss der Aufführung. Bevor der Schah mit nacktem Oberkörper am Boden seinen herzzerreißenden Tanz beginnt, sitzt er in Uniform auf seinem Thron und hinter ihm werden viele einzelne Augen auf die Videoleinwand projiziert. Sie gemahnen eindringlich an die Augen der Opfer, die der als überaus grausam Beschriebene in der Stadt Kerman über 7.000 Männern herausreißen ließ.
Astrid Priebs-Tröger
Am 2. November ist um 19 Uhr eine weitere Vorstellung im Waschhaus zu sehen.