Elektrisierend
Der Beifall wollte kaum enden, nachdem die kanadische Company "Radical System Art" aus Vancouver mit "Telemetry" das Publikum in der fabrik elektrisiert hatte. Allen voran der grandiose Stepptänzer Danny Nielsen, der seine sieben Mittänzer und auch das Dutzend Scheinwerfer rund um die weiße kreisrunde Tanzfläche buchstäblich unter Strom setzte.
Tanz und moderne Technologien
"Telemetry", das nach einem zweijährigen Prozess 2016 zur Premiere kam, verwendet moderne Technologien auf eine besondere Art und Weise. Diese Choreografie ist ein automatisierter Kommunikationsprozess, bei dem Wellen gesammelt und an Empfangsgeräte übertragen werden.
Der Stepptänzer trägt zwei drahtlose Mikrofone an seinen Schuhen und steuert die Beleuchtung mit einer Infrarotkamera, die verfolgt, wo sich sein Körper bewegt, sagte der Choreograf Shay Kuebler in einem Zeitungsinterview. "Wir haben Mikrowürfel, kleine quadratische LEDs um den Boden herum, und wenn er schnell tippt, ist das wie Stroboskoplicht."
Ganz zu Beginn kommt der baumlange Tänzer betont lässig auf die Bühne. Noch deutet nichts darauf hin, dass er kurz darauf ein energetisches Feuerwerk abbrennen wird. Doch dann beginnt er mit den ersten typischen Stepp-Schritten und erzeugt mit seinen Schuhen die bekannten Perkussionen, die beim Stepptanz (engl. Tap Dance) entstehen. Und schon dies fährt einem buchstäblich in die Glieder.
Sender und Empfänger
"Telemetry" basiert auf der Theorie, dass der menschliche Körper Klang, Energie und Emotion empfängt und sendet, sowie instinktiv äußere Impulse in physische Reaktionen verwandelt. Und als Danny Nielsen zu "senden" beginnt, wird das nicht nur auf die rundherum flackernden Scheinwerfer, sondern auch auf die ungemein artistischen und sehr präsenten Tänzerinnen und Tänzer übertragen.
Anfangs schlaglichtartig, denn im auf- und abschwellenden Licht der einzigen hin und her schwingenden Deckenlampe bewegen sich die drei Frauen und vier Männer einzeln in den magischen weißen Kreis. Und verschwinden genauso schnell wieder, wie sie gekommen sind. Doch auch zwischen ihnen entstehen Resonanzen, und nach und nach sogar "Netzwerke". Die auch am Boden durch die Video-Projektionen von Eric Chad und Remy Sin sichtbar gemacht werden.
In diesem komplexen, flimmernden Schauspiel aus einer originellen Mischung aus zeitgenössischem Tanz, Swing, Stepptanz und Bebop, das Kuebler zu einem soghaften Crescendo steigert, bringt jeder Tänzer – auch und vor allem in der Gruppe – seine Individualität ein. Feuer, Coolness, Lockerheit, Anspannung, Athletik, Euphorie und Weichheit ergänzen einander.
Gleichnis auf das Leben
Und während der ausdauernd von "außen" Impulse sendende Stepptänzer immer wieder die ganze Gruppe energetisiert, entsteht so tänzerisch ein wunderbares Gleichnis auf das Leben. Nicht nur menschliches, denn die Tänzer könnten auch Pflanzen oder Tiere verkörpern, die im kräftigen Beat des Lebens schwingen. Jede und jeder tanzt das Gleiche, und doch es ist niemals dasselbe. Und es tut so gut, dies auf der Bühne zu sehen. Denn gerade die kleinen Abweichungen sind es, die das Ganze so lebendig, so organisch machen!
In "Telemetry" passiert alles zu Klängen von BadBadNotGood einer Band aus Toronto, die bekannt ist für ihre Interpretationen von Hip Hop-Tracks. Und Floating Points, das durch den englischen Elektromusiker und Neurowissenschaftler Sam Shepard verkörpert wird. Man darf gespannt darauf sein, wohin sich der aufstrebende, junge Choreograf Shay Kuebler entwickelt. Sein erster Auftritt in Potsdam machte unbedingt Lust darauf, mehr von ihm zu sehen.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Artikel erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 12. März 2018