Nichts ist umsonst
Mit Standing Ovations begannen die Potsdamer Tanztage am 29. Mai im Hans Otto Theater. Diese galten der grandiosen Aufführung der kongolesischen Compagnie Baninga aus Brazzaville, die mit "Monstres, on ne danse pas pour rien" (deutsch: Monster – wir tanzen nicht umsonst!) den Jahrgang 2018 mit überbordender Energie eröffnete.
Doch erst einmal verhüllten dicke Nebelschwaden die Bühne und es war nicht zu erkennen, ob das Wesen, das sich da im Dunkeln bewegte, Mann, Frau oder ein Geist war. DeLavallett Bidiefono, der hier selbst tanzte, gründete seine Compagnie 2005 in Kongos Hauptstadt.
Tanzen als (Überlebens-)Elixier
Seitdem hat der Choreograf nicht nur vielen Menschen in dem bürgerkriegsgebeutelten Land ohne staatliche Unterstützung zeitgenössische Tanzkunst zugänglich gemacht, sondern seit über zehn Jahren tourt er mit seinen Produktionen auch durch Europa.
Dass Tanzen für diese Tänzer nicht nur Bewegungskunst, sondern ein (Über-)Lebenselixier ist, wurde schon nach dem Eingangs-Solo von Bidiefono deutlich. Überaus raumgreifend, sehr athletisch und dabei anmutig waren seine ersten Posen und die anderen acht Tänzerinnen und Tänzer standen ihm darin nicht nach. Sie kreisten muskulös ihre Köpfe, sprangen an- und ausdauernd in die Höhe und einige vollführten sogar Saltos. Hier ging es zuerst um Selbstbehauptung, Vitalität und Lebenslust.
Und wenig später auch um Trauer und Wut. Ein langanhaltender hoher "Klagegesang", den einer der Musiker, die auf einem Baugerüst hoch über den Tänzern thronten, anstimmte, erzählte davon.
Existenzielle Frage: Gehen oder Bleiben?
Gehen oder bleiben ist für Viele, vor allem junge Menschen im Kongo, eine existenzielle Frage. Bidiefono mit seiner Compagnie tut beides. Trotzig behauptet er mit "Monstres", das nichts umsonst, im Sinne von ohne Wirkung sei. Sein Tanzen genauso wenig, wie das Geld, das er dafür in Europa einsammelt. Und mit dem er immer neue Projekte in Brazzaville finanziert.
Die Aufführung indes wird immer dynamischer durch die drei großartigen (Sänger-)Musiker mit zwei Schlagzeugen und E‑Gitarre punkrockartig vorangetrieben und man hat den Eindruck, dass es in dieser Compagnie vor allem um Gemeinschaft und Bündelung von jeglicher kreativer Energie geht, ja, das Tanzen für sie eine/die neue Rebellion sei. Nicht nur im Hinblick auf die politischen Zustände, sondern auch ganz deutlich in Richtung Geschlechterstereotype.
Neue Rebellion – Tanzen (auch) gegen Geschlechterstereotype
Eine Frau mit einer steinzeitlichen Venusfigur – sie entspricht so äußerlich dem Klischee "Mama Afrika" – betritt die Szene und bietet dem Publikum an, für es Brot zu backen. Ihren nackten schwarzen Oberkörper bestreut sie mit weißem Mehl und aus diesem knetet sie zusammen mit Bier einen klebrigen Teig, in dem sie fröhlich und zornig zugleich sich selbst mit verarbeitet. Sogar das bekannte Kinderlied "Backe, backe Kuchen" singt sie auf Deutsch dazu. Und dann schreit sie in einer Art Sprechgesang – auf Französisch – heraus, was die weltweite Neokolonialisierung seelisch mit den Betroffenen anrichtet.
"Wer hat dir gesagt, dass ich nicht fliegen will?" schleudert sie später noch ins Publikum und man ertappt sich dabei, dass man sich diese Frage noch nie grundsätzlich gestellt hat. Zu nachdrücklich die Konzentration auf die eigenen Probleme, zu eurozentristisch die eigene und die gesamtdeutsche Sicht.
Bidiefonos "Monstres" reißen einen da nachhaltig heraus. Die Fragen, die sie stellen, greifen einen immer mehr im Innersten an. Und schließlich lässt der Choreograf auch noch einen Ikarus die Bühne erobern. Doch dieser hat nicht wie das berühmte griechische Vorbild Wachs an seinen Flügeln. Bei Bidiefono glitzern sie metallisch-golden und sind sehr solide verarbeitet. Wer sie trägt, wird nicht so leicht ins Mittelmeer stürzen.
Astrid Priebs-Tröger