Innen und Außen
Es fühlte sich schon vor Beginn wie ein Ausflug in eine andere, längst vergangene Welt an. Das "Deutsche Haus" in Glindow, in dem die Theatergruppe Ton und Kirschen ihre Premiere feierte, umfing die Besucher sofort mit dem morbiden Charme des ehemaligen Tanzsaales, der früher 200 Gäste fasste. Am Eingang musste man zudem an einem gläsernen Sarg vorbei, in dem eine fast menschengroße Puppe im schwarzen Anzug lag.
Außerdem war auf einem Plakat ein Text gedruckt, über dem das Wort "Prolog" zu lesen war. Darunter standen die Fakten, die E.T.A. Hoffmann 1819 zu seiner Novelle "Die Bergwerke von Falun" inspirierten. Berichtet wird von einem gewaltigen Bergsturz, der einen jungen Grubenarbeiter 1679 unauffindbar begrub, ehe seine Leiche fünfzig Jahre später nahezu unversehrt gefunden wurde.
Möglich wurde dies, da sein Körper durch eine Kupfer-Schwefel-Verbindung (Vitriol) konserviert wurde. Neben E.T.A. Hoffmann wurden auch andere Dichter wie Johann Peter Hebel, Friedrich Hebbel, Hugo von Hoffmannsthal oder Georg Trakl von diesem fantastischen Stoff angeregt.
Fantastischer, literarischer Stoff
Und jetzt, zweihundert Jahre nach Hoffmann, auch die Wandertheatergruppe Ton und Kirschen, die seit 1992 in Glindow zuhause ist. Die Gruppe bleibt dicht an der berühmten literarischen Vorlage. Sie erzählt – für ihre Verhältnisse – sehr ausführlich die Geschichte des Elis Fröbom, der ein junger Seemann ist und erfährt, dass seine alte Mutter während er auf See war, gestorben ist. Was ihn tieftraurig macht.
Die besondere Ton und Kirschen-Qualität kommt auch in den "Bergwerken zu Falun" sehr schnell zum Tragen. Mit wenigen, vor allem mit Patina behafteten Requisiten werden Orte erschaffen, die einzigartig theatralisch und poetisch sind: wie das Schiff auf hoher See, das nur durch zwei, mit rostbraunen, verschlissenen Tüchern verdeckten Metallrahmen, die jeweils auf einem riesigen metallenen Rad bewegt werden, symbolisiert wird. Und dass sich ohne weiteres auch als Eingang zur Grube in Falun, in der Elis später arbeitet, verwandeln lässt. Das Bühnenbild stammt von Daisy Watkiss.
Einzigartige theatralische und poetische Räume
Es ist großartig, wie Ton und Kirschen zwei so gegensätzliche Orte und ihre jeweilige Atmosphäre – das offene Meer und das geheimnisvolle dunkle Innere eines Bergwerkes – nahezu nahtlos imaginieren können. Wie das Bergwerk durch ein Dutzend roter Stützpfeiler, die an einem sehr beweglichen Seilüberbau befestigt sind, dargestellt wird. Und durch diesen engen Gang dann die Bergleute auf allen Vieren und mit leuchtenden Grubenlampen kriechen bzw. laut metallisches Hämmern erklingt. Überhaupt ist es die Tonspur, die viel zur Atmosphäre beiträgt, und – über zusätzliche Erschütterungen – auch den Bergsturz glaubhaft macht.
Und wie die Schauspieler*innen dann wieder aus dieser fast naturalistischen und im gleichen Moment doch so fantastischen Darstellung des Ortes und des Geschehens ausbrechen, beispielsweise als die Matrosen von Bord gehen, in einem Freudenhaus landen und Margarete Biereye den berühmten "Surabaya Johnny"-Song singt oder später ihren kleinen Auftritt als skurrile Putzfee hat.
Magische Bildwelten und gegensätzliche Stimmungen
Die magischen Bildwelten und die gegensätzlichen Stimmungen wechseln in den "Bergwerken zu Falun" mit harten Schnitten und sie sind an sich flüchtig aber gleichzeitig eindringlich hingetupft. Sie erinnern an eine Traum- bzw. Wahnwelt. In diese ist der tiefsinnig-melancholische Hauptheld Elis auch abgetaucht, der von Nelson Leon mit vielen Facetten verkörpert wird. Er wird zwischen drei Frauen hin- und hergerissen: der toten, innig geliebten Mutter, der lieblichen Freundin Ulla und der magisch betörenden Bergkönigin, die im tiefen Schoß des Berges haust und ihm mit blutrotem, verführerischem Kleid entgegentritt.
Doch der Held der romantischen Novelle kann sich zwischen ihnen nicht entscheiden und wird schließlich am Tage seiner Hochzeit von der erotischen Herrscherin des Berges hinabgezogen in die unheimliche Dunkelheit. Er lässt oben seine junge Braut zurück, die keinen anderen mehr heiratet und die Hoffnung niemals aufgibt, ihn doch noch einmal wieder zu sehen. Was für eine Liebe, welch' ein (Un-)glück!
Was für eine Liebe, welch' ein (Un-)Glück!
Dieses beständige Wechseln zwischen Hell und Dunkel, zwischen Realität und Traum, zwischen Vision und Wahn macht einen Großteil des Reizes der Novelle und der Inszenierung aus. Und Ton und Kirschen können diese Magie in ihren Bildwelten und vor allem atmosphärisch kongenial herstellen. Einziges Manko: Der viele Prosatext ist nicht gerade leicht verständlich, was zum Teil an der schlechten Akustik aber auch am ausgeprägten Akzent der Darsteller liegt.
Zwei sind neu in der wunderbaren Truppe: der Franzose Dominique Prié, der charismatisch den alten, umhergeisternden Bergmann Torbern spielt und die junge Thalia Heninger, die mädchenhaft, die bis über den Tod hinaus liebende Ulla verkörpert.
Astrid Priebs-Tröger