Auf der anderen Seite
Im Januar beginnt Deutschlands ungewöhnlichstes Filmfestival – die Brandenburger Ökofilmtour. Bis Ende März werden 46 Lang- und 12 Kurzfilme an mehr als 60 Orten, von denen viele nicht mal ein Kino haben, gezeigt.
Und da selbst dieser Zeitraum nicht mehr ausreicht, um die prononcierten Umweltfilme möglichst vielen Menschen nahe zu bringen, gibt es einen Preview-Zeitraum, in dem ausgewählte Festivalhighlights im Potsdamer Filmmuseum gezeigt und diskutiert werden.
Jetzt kam in diesem Rahmen der überaus bewegende Dokumentarfilm "Eldorado" des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof zur Aufführung. Ein Film über die momentanen Flüchtlingsbewegungen nach Europa, der unter die Haut geht: Bilder von zu rettenden Menschen im Mittelmeer werden zusammengeschnitten mit schwarz-weiß Fotos, die mehr als siebzig Jahre alt sind.
Kontinuität der Flüchtlingsbewegungen nach Europa
Und die Kinder zeigen, die vom Roten Kreuz 1945 in die Schweiz verschickt wurden, um aufgepäppelt zu werden. Imhoofs Familie nahm damals ein italienisches Mädchen auf, das nach der Kur, wie alle anderen auch, wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt wurde. Giovanna starb fünf Jahre später an den Folgen der Unterernährung, sie wurde gerade mal vierzehn Jahre alt. Markus Imhoof setzt ihr mit "Eldorado" ein sehr persönliches Denkmal.
Gleichzeitig zeigt er so die bis heute andauernden Kontinuitäten der Flüchtlingsbewegungen nach Europa und die sich daraus entwickelnde Bürokratie und Flüchtlingsindustrie. "Das ganze System ist darauf angelegt, Schmerzen zu erzeugen", sagte der 77-jährige Regisseur in der Filmdiskussion, zu der er extra nach Potsdam gekommen war. Und er liefert in "Eldorado" Bilder von Dantescher Kraft, die die "Hölle", das "Fegefeuer" und auch das "Paradies" zeigen.
"Das ganze System ist darauf angelegt, Schmerzen zu erzeugen."
Man ist mit ihnen ungemein dicht dran an den gigantischen Marine-Hightech-Schiffen der italienischen Küstenwache während der "Mare Nostrum"-Seenotrettungsaktionen und an den überladenen Flüchtlingsbooten, die wie Nussschalen auf dem offenen Meer treiben. Man spürt die lähmende Perspektivlosigkeit der Menschen in den Flüchtlingscamps und die menschenverachtende, mafiöse Ausbeutung der Illegalen auf Italiens Tomatenfeldern.
Und gerade hier wird deutlich, welches Ausmaß und welchen Zusammenhang Ausbeutung und weltweite Flüchtlingsbewegungen haben: Die geflohenen Afrikaner müssen zu Niedriglöhnen in Europa Tomaten ernten, die ihre Angehörigen in Afrika dann als Dosenware kaufen, weil diese billiger ist als einheimische Produkte. Als "genial kriminelles System" wird dies im Film benannt. Und wenn man den geflüchteten Protagonisten des Filmes dabei in die Augen blickt, gefriert einem das Blut in den Adern.
"Wir wohnen unter demselben Himmel"
"Wir wohnen unter demselben Himmel", schrieb die junge Giovanna einst an den kleinen Markus, doch, so setzte sie hinzu, er lebe "auf der anderen Seite". Daran hat sich bis heute in den reichen Ländern des Nordens nichts geändert. Imhoof stellt seinem Film zudem ein Zitat Steve Jobs voran, der auf dem Sterbebett gesagt haben soll: "Das einzige, was uns am Ende bleibt, sind Erinnerungen, die auf Liebe basieren."
"Eldorado" ist ein starkes Plädoyer für Empathie und Mitmenschlichkeit und als Schweizer Beitrag für die bevorstehende Oscar-Verleihung nominiert. Besucher der Ökofilmtour haben die Chance, gerade solche Filme, die jenseits des Mainstreamkinos laufen und zur Aufklärung beitragen, jedes Jahr neu zu sehen und mit Experten zu diskutieren.
Plädoyer für Empathie und Mitmenschlichkeit
Die Ökofilmtour 2019 wird mit "Power to the Bauer" von Bertram Verhaag eröffnet. Einem Film, der in Potsdam zur Welturaufführung kommt und an acht positiven Beispielen zeigt, wie eine naturverträgliche Landwirtschaft zukünftig funktionieren könnte.
Astrid Priebs-Tröger