Flagge zeigen
Erster Eindruck: Die Verwandlung des ehemaligen Gotteshauses in einen Theaterraum ist gelungen. Und die jetzt so genannte Zimmerbühne in der Zimmerstraße 12b scheint räumlich geradezu prädestiniert für Max Frischs Drama "Biedermann und die Brandstifter" zu sein.
Unten im langgestreckten Raum sitzt das Publikum U‑förmig in drei Reihen, dicht an dicht um die lange weißgedeckte Tafel in Gottlieb Biedermanns Esszimmer herum. Und der Balkon, der sich im hinteren Drittel des Raumes darüber wölbt, lässt sich wunderbar als (offener) Dachboden bespielen.
Denn zwischen bürgerlicher Wohnstube und Dachboden agieren auch die Figuren des vor über sechzig Jahren entstandenen Stückes, das der Schweizer Max Frisch im Angesicht der Nachwehen des deutschen Faschismus und der weltweiten Bedrohung durch die Atombombe schrieb. Sein Stück wurde damals sowohl als Warnung vor dem Faschismus als auch vor dem Kommunismus interpretiert.
Ist Frischs Stück noch zeitgemäß?
Das Poetenpack will, wie viele andere Bühnen in der Bundesrepublik auch, jetzt damit vor allem "Flagge zeigen" in einer Gegenwart, in der der Nationalismus auch international wieder erstarkt und wie so oft Populismus und Fremdenfeindlichkeit im Gepäck hat.
Und so treten beim Potsdamer Biedermann unter der Regie von Michael Neuwirth auch keine Feuerwehrleute in Uniform als kommentierender Chor auf, sondern fünf junge Menschen – einer davon sichtbar mit Migrationshintergrund – stehen neben den großen grasgrünen Benzinfässern, die auf dem Dachboden und drei weiteren Podesten verteilt sind.
Die Jugendlichen singen oder sprechen im Laufe des knapp zweistündigen Abends Lieder und Texte, die die deutsche Geistes- und Seelengeschichte von Martin Luther, über Hölderlins "Hyperion" bis hin zum Münchner Oktoberfest mit "Ein Prosit auf die Gemütlichkeit" illustrieren. Begonnen wird – wie mit einer Ouvertüre – mit "Kein schöner Land" und dem alten Nachtwächterlied "Bewahrt das Feuer und das Licht" – und selbiges wird auch von den handelnden Akteuren in der Dunkelheit angezündet und (erstmal) wieder gelöscht. Gleich zu Beginn wird über den Chor auch die gegenwärtige Flüchtlingsthematik mit Politikerzitaten installiert.
Flüchtlingsthematik über Politikerzitate installiert
Zweiter Eindruck: Das überaus spielfreudige Ensemble um Gottlieb Biedermann (Michael Gerlinger) und seine Frau Babette (Andrea Seitz) sowie die Brandstifter Schmitz (Reiner Gabriel) und Eisenring (Jörg Vogel) hauchen den farceartigen Wohnzimmer- und Dachbodenszenen jede Menge komödiantisches Leben ein. Auch Erika Mosonyi als Dienstmädchen Anna wirkt zwischen Anpassung und Aufbegehren tatkräftig mit.
Es bereitet Vergnügen, ihnen dabei zuzusehen, wie sich als Biedermänner und –frauen ungemein opportunistisch winden, um dann doch den direkt-subtilen Einflüsterungen der Brandstifter und ihrer (angeblichen) Körperkraft zu erliegen. Wie der smarte Gottlieb Biedermann, der vom prolligen Ringer Schmitz sowohl physisch als auch psychisch einfach ausgehebelt und sogar buchstäblich auf den Arm genommen, respektive über die Schulter geworfen wird. Oder Eisenring, der Gottlieb Biedermann quasi an einem solchen durch die "Manege" und letztendlich bis zur Herausgabe von Streichhölzern führt.
Eindeutige Typisierungen in einer komplexen Welt
Da gibt es in der berühmten literarischen Vorlage jede Menge Futter für ziemlich eindeutige Typisierungen. Doch, so fragt man sich – als drittem Eindruck – ist das wirklich noch zeitgemäß? In einer überaus komplexen, zudem sich rasant globalisierenden Welt? In der so genannte Influencer oder Fake News große Menschenmassen digital manipulieren können?
Natürlich wirken – zumindest stellenweise – ähnliche psychische Mechanismen, wenn Bürger sich durchlavieren, aus demokratischen Prozessen heraushalten und populistischen Rattenfängern auf den Leim gehen. Aber die Brandstifter? Sind das wirklich nur gescheiterte Randexistenzen, die flächendeckend Feuer legen oder stecken da nicht ganz andere Interessen und deren oft unsichtbare Vertreter dahinter?
Zu plakativ?
Ja, es gibt auch in der Poetenpack-Inszenierung den Auftritt eines "Dr. phil." in weißem Jackett (Maximilian Hintz), der sich laut geifernd über die Dachbodenbrüstung lehnt und seine volksverdummenden Reden ans Publikum hält – aber reicht das oder wirkt es einfach nur plakativ? Genauso wie in der Vorlage, in der die, die das Feuer legen, vor allem mit einer "puren Lust" am Zündeln ausgestattet erscheinen.
Erfreulicherweise stellt die Inszenierung mit den Politikerzitaten, die die jungen Menschen vortragen, einen vielschichtigeren Gegenwartsbezug her. Gut wäre, wenn man zumindest einige dieser Zitate mit Namen ihrer Urheber auch im Programmheft nachlesen könnte. Und wenn man, nach der Aufführung mit dem Publikum ins Gespräch über die Komplexität aktueller politischer Entwicklungen kommen würde.
Astrid Priebs-Tröger