Starke Stücke aus Stuttgart
Jede Menge Gabeln, ein Gottfried-Benn-Gedicht, ein riesiger Sauerteig sowie die Frage "Was ich werden will" standen im Mittelpunkt des dritten RADAR Figurentheater-Festivalabends. Mit ihnen beschäftigten sich ausschließlich junge Frauen, die Studentinnen beziehungsweise Absolventinnen des Studienganges Figurentheater der HMDK Stuttgart sind oder waren.
Adeline Rüss, Liesbeth Nenoff, Annina Mosimann, Gerda Knoche und Gala Goebel präsentierten dabei Kurzstücke, die bis zu 20 Minuten lang waren und trotzdem einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Trotz oder gerade wegen ihrer ästhetischen und stilistischen Unterschiedlichkeit und der Vehemenz der aufgeworfenen Fragen.
Adeline Rüss tanzte auf/neben einem hölzernen Tisch einen skurrilen, surrealistisch anmutenden Tanz – zuerst nur mit einer Gabel und schließlich mit einer ganzen Heerschar von ihnen. Ihre metallisch-magnetisierende Performance ließ dabei sowohl das berühmte Morgenstern-Gedicht, als auch – als sich ihre eigenen Arme mit riesigen Zinken verlängerten – "Edward mit den Scherenhänden" aufblitzen. In ihrer Etüde gelang ihr eine grazile und beeindruckende Verschmelzung von Körper und Objekt.
Ihren Körper als Projektionsfläche stellte auch Liesbeth Nenoff zur Verfügung, um Gottfried Benns Gedicht "Schöne Jugend" in eindringliche Bilder zu verwandeln. Der Arzt Benn beschreibt darin die Wasserleiche eines Mädchens (in der Tradition Ophelias), die bereits wieder in den natürlichen Kreislauf eingegangen und von jungen Ratten besiedelt ist.
Liesbeth Nenoffs Mini-Beamer-Performance spielt unbeeindruckt von Verwesung und Zerfall mit menschlichen Ausscheidungen und heftig geröteten Geschwüren, zeigt krabbelnde Insekten und zerfledderte Vogelkadaver, und konfrontiert sich und uns so auch mit der eigenen Endlichkeit.
Und weil Vergehen und Werden so nah beieinander liegen, schloss sich die Dritte im Bunde nahtlos an. Annina Mosimann zitiert aus Donna Haraways berühmten "Cyborg-Manifest" einen Plazenta-Text und arbeitet sich in ihrer Küche an einem riesigen Sauerteig der Marke "Masa Mater" ab.
Sie lässt daraus ganz im Sinne der amerikanischen Feministin zwar jede Menge neues Leben entstehen und vergehen, doch ohne, dass unser Planet durch noch mehr Menschen immer weiter an seine natürlichen Grenzen kommt. Es ist ein starkes verstörendes Bild, als ihr am Ende ein ungestalter Teigfladen quasi aus dem eigenen Schoß flutscht.
Junge Frauen, geboren in den 1990er Jahren, die zur sogenannten Generation Y (why) gehören und mit dem Internet groß geworden sind, hinterfragen vieles von dem, was sie vorgefunden haben. Natürlich und vor allem auch scheinbar festgeschriebene Geschlechterrollen und –klischees.
Traurig und komisch zugleich ist in diesem Zusammenhang Gerda Knoches biografisches Objekttheater "Fragt mich, was ich werden will und ich sag:", das den Abend beschloss. In dem der Raum hinter dem Doppelpunkt auf dem Papier zwar frei bleibt, aber die beiden Frauen – Gala Goebel und Gerda Knoche – in ihren Fußballspielerinnen-Dresses keinen Zweifel daran lassen, was ihre eigentliche Bestimmung ist/sein könnte.
In ihrer kurzen Episode, in der beide filmisch und pantomimisch das eigene Gewordensein auch mit Hilfe von Familienfotoalben und eben jener Frage, die ihnen bereits von der Mutter im Kleinkindalter gestellt wurde, erkunden, zeigt sich einmal mehr die nebeneinanderstehende Ernsthaftigkeit, Traurigkeit und die Fähigkeit zur Ironie dieser Generation. Und dass es möglich ist, dass junge Frauen anstatt mit anderen Menschen anmutig mit Gabeln tanzen.
Astrid Priebs-Tröger