Sich berühren lassen

Es fühl­te sich fast wie eine vor­fris­ti­ge Besche­rung an, als die Tanz­kom­pa­gnie des Bre­mer Thea­ters "Unu­su­al Sym­ptoms" am 20. und 21. Dezem­ber mit "Dia­monds" in der fabrik Pots­dam zu Gast war.

Schnell war klar, dass es sich dabei um ein immersi­ves Pro­jekt han­del­te, denn die neun Tän­ze­rin­nen und Tän­zer emp­fin­gen das Publi­kum bei­na­he freund­schaft­lich und luden es zum Platz­neh­men rund um die gro­ße fabrik-Büh­ne ein. Sie misch­ten sich selbst unter die Zuschauer:innen, rede­ten mit die­sem und jenem und man hat­te fast zehn Minu­ten zum ent­spann­ten Ankommen.

Diamonds_© Jörg Landsberg

Über der voll­kom­men lee­ren Büh­ne hing eine rot­leuch­ten­de Plas­tik, die mit ihren Spit­zen sowohl an einen Weih­nachts­stern als auch an eine Dia­man­ten­struk­tur erin­ner­te. Unter ihr, um sie her­um insze­nier­te der bra­si­lia­ni­sche Cho­reo­graf Ren­an Mar­tins die­se sehr diver­se Tänzer:innengruppe und ganz zum Schluss auch das gesam­te Publi­kum im Raum.

Anfangs bewe­gen sich die Tänzer:innen ein­zeln oder zweit wie in Zeit­lu­pe, meist in Boden­nä­he. Neben die­ser, ihrer Ver­ein­ze­lung ist so etwas wie mit­ein­an­der Rin­gen bezie­hungs­wei­se Kämp­fen zu erspü­ren. Die Atmo­sphä­re ist ange­spannt. Ener­ge­tisch gefühlt "nega­tiv" aufgeladen.

Diamonds_© Jörg Landsberg

Trotz­dem gerät man dabei wie in einen Tran­ce­zu­stand, und irgend­wann schwillt die Musik des Live-DJs Zen Jef­fer­son an wie zu einem Sturm. Der die Ver­ein­zel­ten zu einem vor­erst unför­mi­gen Klum­pen zusammenweht.

Ren­an Mar­tins Cho­reo­gra­fie basiert auf bell hooks  Buch "All about love", das vor zwan­zig Jah­ren erschien. Die US-ame­ri­ka­ni­sche Femi­nis­tin beschreibt dar­in die trans­for­ma­ti­ve Kraft der Liebe.

Bell hooks geht es nicht nur um roman­ti­sche Lie­be, son­dern sie beschreibt Lie­be als ein gene­rel­les Wohl­wol­len sich selbst und ande­ren Men­schen gegen­über. Und als die Fähig­keit und Bereit­schaft, anein­an­der zu wachsen.

Diamonds_© Jörg Landsberg

Auf der Büh­ne der fabrik ent­steht aus den vie­len Ver­ein­zel­ten nach und nach eine For­ma­ti­on, die immer noch sehr dyna­misch, kämp­fe­risch, ja krie­ge­risch im Gleich­schritt bezie­hungs­wei­se Gleich­klang agiert.

Bis ein Break in anhal­ten­der Stil­le und Dun­kel, die vor­he­ri­gen Ener­gien nahe­zu "aus­löscht" und mit dem Rihan­na-Song "Dia­monds" so etwas wie Weich­heit, Flie­ßen, Öff­nung und Begeg­nung ange­sto­ßen wird. Und der har­te Dia­mant jetzt in allen Regen­bo­gen­far­ben vom Büh­nen­him­mel funkelt.

Die in die­sem neu­en Geist ver­ein­te Tän­zer: innen-Grup­pe bewegt sich aus ihren har­ten Lini­en hin­ein in eine gro­ße orga­ni­sche Kreis­be­we­gung, die schließ­lich Alle im gemein­sa­men Raum ein­be­zieht. Sodass der Geist der Weih­nacht, die­ser viel­be­schwo­re­ne Geist der Lie­be letzt­end­lich in den Gesich­tern der Anwe­sen­den leuchtet.

Trotz­dem bleibt mit/nach Dos­to­jew­ski die Fra­ge: War­um ist das Schöne/Gute so schwer dar­zu­stel­len – und kann es wirk­lich die Welt respek­ti­ve uns retten?

Und:  bezo­gen auf die Rol­le der Kunst –  müs­sen wir (end­lich) unse­re Seh­ge­wohn­hei­ten bezie­hungs­wei­se die abge­bil­de­ten Ste­reo­ty­pe ändern, um unser (sozia­les) Mit­ein­an­der nach­hal­tig zu verändern?

Astrid Priebs-Trö­ger

21. Dezember 2024 von Textur-Buero
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