Be content!
Es gibt diesen berühmten Engels-Aufsatz von der "Menschwerdung des Affen durch Arbeit", in dem es u. a. um das Verhältnis der Menschen zur Natur – deren Aneignung durch Arbeit – geht und auch darum, wie sich der Mensch durch diese Beziehung und solchen zu anderen erst selbst erschafft.
Was Menschen passiert, wenn sie der sinnhaften/sinnstiftenden Arbeit und ebensolcher Beziehungen im Spätkapitalismus verlustig gehen, kann man in Sibylle Bergs wortgewaltigem Stück "Hass-Triptychon" von 2019 erfahren. Grit Lukas hat es – wegen Corona – in einer digitalen Inszenierung jetzt am neuen theater Halle zur Aufführung gebracht.
Es zeigt vier Menschen am Sonntag. Sonntag heißt auf Russisch Воскресенье, was übersetzt Auferstehung bedeutet. In Sibylle Bergs Stück findet diese – auch in Ermangelung religiöser oder anderer Erbauung – nicht statt; stattdessen ertragen die drei Frauen und der eine Mann weder die sonntägliche Stille noch den Wegfall der wochentäglichen Arbeitsroutinen.
Denn an diesem arbeitsfreien Tag sind sie gänzlich auf sich selbst geworfen und ihre äußere/innere Leere wird ihnen schmerzlich bewusst. Und ihre Beziehungslosigkeit obendrein; ein besorgniserregender Zustand, der in allen Generationen und Schichten der Gegenwartsgesellschaft immer weiter um sich greift.
Was für eine mentale Verwandlung, als endlich die neue Arbeitswoche anbricht und die Vier sich aufmachen in ihre nicht näher bezeichnete Bürotätigkeit, bei der sie auf die eine oder andere Weise Content produzieren, beispielsweise für die Wasserwerke.
Auch das so ein zeitgemäßes Wort für Alles beziehungsweise Nichts: Als Nomen bedeutet es Inhalt und als Adjektiv zufrieden. Be content – sei zufrieden also, auch wenn das, was du tust, vollkommen sinnlos ist. Und ein Content-Manager (gibt’s inzwischen wie Sand am Meer ) sorgt dann für allgemeine Zufriedenheit?
In Bergs Stück "Hass-Triptychon", das, wie der Name schon sagt, in drei Teile unterteilt ist, scheint diese Aufgabe einem Therapeuten – "Ich bin ihr Keynote-Speaker und gekommen, um sie zu heilen" – zuzukommen.
Den brauchen inzwischen fast alle da draußen, da es immer schwerer wird, die eigenen Emotionen beim Erleben des allgegenwärtigen Desasters einigermaßen unter dem Deckel zu halten … denn das chaotische Herauslassen würde dafür sorgen, das an vielen Stellen kein Stein mehr auf dem anderen bliebe.
Also werden diese individuellen Gefühle in Therapie u. a. mit mehr Achtsamkeit bedacht oder einfach weg geamtet. Aber weil die Menschen in fast allen gesellschaftlichen Bereichen zu Objekten gemacht werden, entwickeln sie dadurch auch jede Menge (körperliche) Schmerzen, so der Hirnforscher Gerald Hüther.
Sibylle Bergs "Hass-Triptychon" schlägt eine radikale respektive zynische Therapieform vor, die jedoch auch der Gegenwart entnommen ist. Ihre Delinquenten sollen auf die Jagd gehen, was auch so ein zeitgemäßes triebhaftes Vergnügen, allerdings nur für Besserverdienende, ist.
Dafür lässt der Therapeut Knarren verteilen, die jedoch nicht dazu dienen, diejenigen, die am Desaster Schuld sind, aus dem Weg zu räumen oder für eine neue Idee des Zusammenlebens auf die Barrikaden zu gehen. Sondern alles, was ihnen in den Weg kommt einfach abzuknallen und sich am Töten an sich zu berauschen.
Keine guten Aussichten in unserer von zahlreichen Krisen gebeutelten Welt. Da hilft es auch nicht, sich zu vergegenwärtigen, dass Hass eigentlich nur die Kehrseite von Liebe ist.
Astrid Priebs-Tröger
Weitere Infos unter https://buehnen-halle.de/hasstriptychon