Das Einfache leben

Zuerst waren sie nur zu hören. Auf einer Tuba, wei­te­ren Blech­blas­in­stru­men­ten sowie einem Akkor­de­on musi­zie­rend, bogen die Vier, von denen einer den Hand­prit­schen­wa­gen zog, auf dem sich Kör­be, Kis­ten und ein Schlag­zeug befan­den, laut­stark und fröh­lich in den Schirr­hof ein.

Hier mach­te die­ses buch­stäb­lich fah­ren­de Volk, des­sen musi­ka­li­scher Ein­stand augen­blick­lich an die ver­gnüg­te Atmo­sphä­re in Emir Kus­tu­ricas Film "Schwar­ze Kat­ze, wei­ßer Kater" erin­ner­te, halt. Um auf dem blan­ken Kopf­stein­pflas­ter, zwi­schen einem hal­ben Dut­zend ein­fa­cher Holz­pfäh­le ihre eige­ne, nach der berühm­ten Theo­dor Storm-Geschich­te von der "Regen­tru­de" zu erzählen.

"Regentrude"/Foto: Gör­an Gnaudschun

Die wun­der­bar in die­sen Nach­mit­tag pass­te, denn auch in der Schiff­bau­er­gas­se brann­te die Som­mer­son­ne wie schon die Tage zuvor unbarm­her­zig vom Him­mel. Und das zwei­te Jahr in Fol­ge hat Bran­den­burg mit den Fol­gen von Dür­re zu kämp­fen. Zum Glück gab es für das bunt gemisch­te Publi­kum aus Kin­dern und Erwach­se­nen ein wei­ßes Son­nen­se­gel, so dass alle gut beschat­tet der asso­zia­ti­ven und kurz­wei­li­gen Sze­nen­fol­ge unter der Regie von Jens-Uwe Spren­gel fol­gen konn­ten.  Von Anfang an über­zeug­te die­se vor allem durch ihre musi­ka­li­schen und slap­stick­haf­ten Momente.

Jede Menge musikalische und slapstickhafte Momente

Alle Mit­wir­ken­den – Nora Raetsch, Nori­ko Seki, Stef­fen Find­ei­sen und Udo Kolo­s­ka – spie­len ein oder meh­re­re Instru­men­te und Rol­len. Nora Raetsch bläst kräf­tig die rie­si­ge Tuba und ver­kör­pert sowohl den dicken, geld­gie­ri­gen Wie­sen­wirt als auch die feen­haf­te Regen­tru­de. Die flin­ke Akkor­deo­nis­tin Nori­ko Seki spielt das muti­ge Mäd­chen Maren und ein vor Durst zusam­men­ge­bro­che­nes Schaf. Stef­fen Find­ei­sen ist die alte Sti­ne und der ener­gie­ge­la­de­ne Feu­er­mann. Und der Musi­ker Udo Kolo­s­ka ist Marens zukünf­ti­ger Bräu­ti­gam, der ansons­ten musi­ka­lisch den Takt angibt und das Gan­ze atmo­sphä­risch dicht zusammenhält.

Das haupt­säch­lich mit poin­tier­ten Bil­dern anstatt mit vie­len Wor­ten die Geschich­te über mensch­li­che Gier auf der einen und einem "Zurück zur Natur" auf der ande­ren Sei­te erzählt. Köst­lich, wie kräf­tig Nora Raetsch den Wie­sen­wirt ver­kör­pert. Doch bevor dies pas­siert, hän­gen die fah­ren­den Schau­spie­ler-Musi­ker zwi­schen den Holz­pfäh­len erst ein­mal ihre gro­ße Wäsche auf, um hin­ter wei­ßen Laken die zahl­rei­chen Requi­si­ten zu ver­stau­en bezie­hungs­wei­se ihre Rol­len­wech­sel zu voll­zie­hen. Für die Aus­stat­tung und die Kos­tü­me waren Hei­de Scholl­ähn und Hea­ther Mac­Crim­mon ver­ant­wort­lich. Weni­ge Kos­tüm­tei­le – so Kopf­be­de­ckun­gen von Pudel­müt­ze, über Her­ren­ta­schen­tuch bis hin zu Spit­zen­deck­chen – rei­chen, um die Rol­len zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Und klar, dass die­se hier erst­mal scherz­haft ver­tauscht wer­den, bevor sie auf dem "rich­ti­gen"  Kopf landen.

"Regentrude"/Foto: Gör­an Gnaudschun

Und auch zwei Mas­ken wer­den aus einem alten Wei­den­wä­sche­korb mit Deckel gezau­bert: die frat­zen­haft furcht­ein­flö­ßen­de des Feu­er­man­nes Ekke­nek­ke­pen und die trau­rig sanf­te der Regen­tru­de. Bei­de sind Remi­nis­zen­zen an die Vor­gän­ger-Insze­nie­rung "Die Regen­tru­de und der Feu­er­mann" aus dem Jahr 2013, die das Thea­ter Nadi eben­falls als Open-Air-Auf­füh­rung ent­warf. Damals spiel­ten Nori­ko Seki und Stef­fen Find­ei­sen allein, die Ver­stär­kung durch die Pup­pen­spie­le­rin Raetsch und den Musi­ker Kolo­s­ka hat dem Gan­zen sehr gut getan.

Einige Reminiszenzen an die Inszenierung von 2013

Denn als Stef­fen Find­ei­sen mit angst­ein­flö­ßen­der Mas­ke und feu­er­ro­tem Umhang sei­nen hit­zi­gen Tanz aufs hei­ße Pflas­ter gelegt hat, und dabei noch von zwei flam­men­zün­geln­den Pois gerahmt wird, braucht es zumin­dest für die jüngs­ten Zuschau­er einen Bruch, um die zer­stö­re­ri­sche Feu­er-Ener­gie über­haupt aus­zu­hal­ten. Zumal gleich im Anschluss auch noch ein Schaf vor aller Augen vor Durst tot zusammenbricht.

Wie in einem Ping-Pong-Spiel wird der wei­te­re Hand­lungs­ver­lauf skiz­ziert. Anstatt vie­ler Wor­te, rei­chen der inbrüns­ti­ge Wunsch nach Regen und die Aus­sicht auf die Hoch­zeit von Maren sowie der Hit „Wochen­end‘  und Son­nen­schein“ aus, um aus der vor­her bedrü­cken­den Situa­ti­on wie­der eine akti­ve, lebens­be­ja­hen­de zu machen.

"Regentrude"/Foto: Gör­an Gnaudschun

Und dar­um geht es letzt­end­lich. Denn was und wem nützt es, vor den unge­heu­ren Auf­ga­ben, die im Ange­sicht der gegen­wär­ti­gen Kli­ma­kri­se vor den Men­schen ste­hen, zusam­men­zu­bre­chen. Maren rennt und rennt und erweckt schließ­lich die ein­ge­schla­fe­ne Tru­de. Die dann end­lich ihren gigan­ti­schen wei­ßen Umhang ent­fal­tet, in deren Fal­ten die zuvor geblen­de­te jun­ge Frau selbst wie­der sehend wird. Schön, dass dann die­ser sei­di­ge Über­wurf Marens eige­ner rie­si­ger Braut­schlei­er wird. Und wun­der­bar, wie Maren und And­rees danach ihren eige­nen Hoch­zeits­tanz mit Akkor­de­on und Saxo­phon spielen.

Mehr Sein, weniger Haben

Und viel­leicht ist das ja die wirk­lich wich­ti­ge Bot­schaft: Mehr Sein als Haben, weni­ger kon­su­mie­ren, mehr agie­ren und gemein­sam etwas unter­neh­men. Zum Bei­spiel zusam­men Musik machen und lie­ber unter dem hie­si­gen blau­en Som­mer­him­mel tan­zen, als das ver­meint­li­che Glück an fer­nen Strän­den zu suchen. Es könn­te alles so ein­fach sein. Kin­der­leicht. Eigentlich.

Astrid Priebs-Trö­ger

29. Juli 2019 von Textur-Buero
Kategorien: Ökologie, Theater | Schreibe einen Kommentar

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