Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Bücher weg­zu­wer­fen fällt schwer. Vor allem in Deutsch­land, wo sie einst in Flam­men auf­gin­gen. Seit den 1990er Jah­ren gibt es hier­zu­lan­de die Idee der Öffent­li­chen Bücher­schrän­ke. Vor kur­zem hat nun auch Pots­dam einen rund um die Uhr geöff­ne­ten Bücher­schrank am Platz der Ein­heit – zwi­schen "Erd­beer­ki­osk" und Döner-Imbiss – aufgestellt.

Neu­gie­rig über­flie­ge ich die Titel auf den Buch­rü­cken, die fünf Eta­gen der Glas­vi­tri­ne zwei­rei­hig fül­len: Von Arbeits­recht, über Bauch­spei­chel­drü­sen­krebs bis hin zu Win­dows XP, Kon­sa­lik und Har­ry Pot­ter ist Vie­les dabei, was der Bücher­markt her­gibt. Und wenn ich Namen wie Har­ry Thürk oder Boris Pole­woi lese, weiß ich hun­dert­pro­zen­tig, dass ich im Osten bin.

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Offe­ner Bücher­schrank nahe der Wil­helm­ga­le­rie / Foto: APT

In der DDR, die sich selbst als Lese­land pries und ver­stand, waren Bücher preis­wert und der Biblio­theks­be­such kos­ten­los. Und selbst Schul­bü­cher wur­den an die nächs­te Gene­ra­ti­on ver­erbt. Auch ver­lieh man Rari­tä­ten zumin­dest an sehr gute Freun­de oder Ver­wand­te. Und ein Gespräch über das Gele­se­ne gab´s meis­tens gra­tis dazu.

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Ein­la­dung zum Lesen / Foto: APT

Heu­te ist Vie­les anders und inso­fern ist so ein Tausch­an­ge­bot, das der Lions-Club orga­ni­siert hat, zu begrü­ßen. Und der Schrank an sich sieht ziem­lich gedie­gen aus. Aber bei dem vor­ge­fun­de­nen Ange­bot fra­ge ich mich, wer damit etwas anfan­gen soll. Mir kam es vor, wie ein Con­tai­ner, in dem die Gut­si­tu­ier­ten ihre Alt­klei­der für die drit­te Welt entsorgen.

Das tue ich übri­gens schon lan­ge nicht mehr, weil es die dor­ti­ge Tex­til­in­dus­trie rui­niert. Und genau­so hal­te ich es auch mit aus­sor­tier­ten Büchern. Ent­we­der schen­ke ich sie jeman­dem, von dem ich weiß, dass er sie wirk­lich will. Oder ich stel­le sie online, bis sich jemand fin­det, der sie kauft.

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Lese­stoff vom 20. August 2015 / Foto: APT

Doch wirk­lich altes Zeug wan­dert in die Papier­ton­ne. Ohne Gewis­sens­bis­se aber in der Hoff­nung, dass wenigs­tens das Papier der Anfang von etwas Neu­em ist. Übri­gens: ein Weg, aus dem jet­zi­gen Ramsch­la­den eine wirk­li­che Biblio­thek zu machen, wäre der Wunsch der Geben­den, ande­ren wirk­lich etwas schen­ken zu wollen.

Astrid Priebs-Trö­ger

Lis­te öffent­li­cher Bücher­schrän­ke in Deutsch­land unter: https://de.wikipedia.org/

P. S.: Zwei Tage spä­ter war ich noch ein­mal am Bücher­schrank – und wider Erwar­ten haben sich für eini­ge Titel doch Leser*innen gefunden.

18. August 2015 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Literatur | Schreibe einen Kommentar

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