Heimat: ein diffuses Gefühl

Hei­mat neu ent­de­cken! – Eine grü­ne Kauf­land-Tra­ge­ta­sche mit die­sem Auf­druck stand im Spar­ta­cus im  Kul­tur­zen­trum Frei­land auf der Büh­ne, von der aus Tho­mas Eber­mann und Thors­ten Mense dem gegen­wär­ti­gen und dem Hei­mat­be­griff an sich gehö­rig auf den Zahn fühl­ten. Ihr Ver­an­stal­tungs­lo­go – ein röh­ren­der Hirsch mit deut­lich sicht­ba­rer roter Schuss­wun­de am Hals  – zeig­te dann auch, in wel­che Rich­tung es gehen soll­te. "Hei­mat – Eine Besich­ti­gung des Grau­ens" war der gut besuch­te Pre­mie­ren-Abend im Frei­land überschrieben.

Anti-Heimatabend

Doch bevor die fast drei­stün­di­ge Text-Bild-Musik-Dia­log-Per­for­mance so rich­tig Fahrt auf­nahm, erklan­gen jede Men­ge Lied­gut­schnip­sel, die den Hei­mat­be­griff spie­gel­ten. Da ertön­ten Hei­no-Schla­ger genau­so wie Rap und auch das bekann­te DDR-Pio­nier­lied "Unse­re Hei­mat". Mit des­sen letz­tem Satz der ers­ten Stro­phe: Und wir lie­ben die Heimat/die schö­ne, und wir schüt­zen sie/weil sie dem Vol­ke gehört/ weil sie unse­rem Vol­ke gehört/ Die­ser zeig­te dann auch die kri­tisch-sati­ri­sche Stoß­rich­tung, in die Eber­manns und Menses "Anti-Hei­mat­abend" zielte:

Wider die Renais­sance eines wert­kon­ser­va­ti­ven, rech­ten Hei­mat­be­grif­fes, den bei­de seit 2015 – nach den gro­ßen Flucht­be­we­gun­gen und der euro­päi­schen Abschot­tung davor ‑in Öster­reich und Deutsch­land aus­ma­chen. Der Publi­zist und lin­ke Quer­den­ker Eber­mann und der Sozio­lo­ge und Jour­na­list Mense hat­ten Unmen­gen von Wahl­pla­ka­ten aller Par­tei­en – von ganz rechts, über grün bis links – in ihrer Dia­show ver­sam­melt, dazu jede Men­ge Polit­ker­sprech in Sachen Hei­mat.  Und auch Mar­ke­ting­ma­te­ri­al, mit dem für Gott weiß nicht was, mit dem Hei­mat­be­griff gewor­ben wird. Doch nicht nur vor­der­grün­dig poli­tisch – bei­spiels­wei­se  mit Horst See­ho­fers Hei­mat­mi­nis­te­ri­um – son­dern auch sehr sub­til schleicht sich, so ihre nach­denk­lich stim­men­de Bilanz, ein dif­fu­ses Hei­mat­ge­fühl nach Deutsch­land zurück.

Wider die Renaissance eines wertkonservativen Heimatbegriffes

Eber­mann zitier­te dazu ange­wi­dert genüss­lich Pas­sa­gen aus Deutsch­lands erfolg­rei­chem Life­style-Maga­zin "Land­lust", das mit einer Auf­la­ge von über 800.000 ver­kauf­ten Exem­pla­ren inzwi­schen mehr Leser als der "Spie­gel" erreicht.  Und mit Begriff­lich­kei­ten wie Land­le­ben und "Zurück zur Natur" han­tiert und damit auch ein neu­es Heimat-"Gefühl" – jen­seits von Trach­ten­mo­de und Brauch­tums­pfle­ge – ent­wi­ckelt. "Land­lust" tut dies emo­tio­nal posi­tiv geprägt und oft Hei­me­lig­keit verbreitend.

Eber­mann und Mense, die auf der Büh­ne fast die gan­ze Zeit so viel Ziga­ret­ten wie Hel­mut Schmidt qualm­ten und sich auch immer mal wie­der iro­nisch gegen­sei­tig ins Wort fie­len, wen­den sich in ihrem "Anti-Hei­mat­abend" gegen einen Hei­mat­be­griff als dif­fu­ses – einer­seits stark ver­bin­den­des, ande­rer­seits stark aus­schlie­ßen­des Gefühl – und wie sie fest­stell­ten, als regres­si­ves Phä­no­men, das inzwi­schen von einem Groß­teil der deut­schen Gesell­schaft Besitz ergrif­fen hat.  Sie stel­len dies deut­lich in Zusam­men­hang mit der Abwehr des und von Frem­den und wei­sen mit Blick auf die deut­sche Ver­gan­gen­heit dar­auf hin, wohin dies füh­ren kann.

"Heimat"  als Abwehr des und von Fremden

Erhel­lend und ernüch­ternd waren auch die Her­lei­tung und die Wand­lun­gen des Hei­mat­be­grif­fes sowie sei­ne Bezie­hun­gen zu "Blut und Boden" und "Volks­ge­mein­schaft". Doch ihre scharf­zün­gi­ge Ana­ly­se ziel­te nicht nur in eine Rich­tung, son­dern auch lin­ke Vor­den­ker oder Künst­ler wie Johan­nes R. Becher beka­men ihr Fett ab. Eine beson­de­re Stoß­rich­tung ver­folgt Tho­mas Eber­mann auch gegen die Ver­wen­dung des Hei­mat­be­grif­fes bei den Grü­nen. Eber­mann hat­te die­se 1980 mit­ge­grün­det, war  bis zu sei­nem Par­tei­aus­tritt Mit­glied des Bun­des­ta­ges und Frak­ti­ons­spre­cher. Ein­zi­ges Man­ko des intel­lek­tu­ell anre­gen­den Abends – zu vie­le Fak­ten in einem ins­ge­samt dann doch über­frach­te­ten Format.

Astrid Priebs-Trö­ger

08. April 2019 von Textur-Buero
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