Kongeniale Verschmelzung
Was für ein Stilmix und was für eine Zeitreise! Die Potsdamer Tanztage sind in diesem Jahr für manch eine Überraschung und vor allem für ungewöhnliche Kontraste gut.
Der Tänzer und Choreograf mit mexikanischen Wurzeln, Victor Quijada, zeigte einen Querschnitt aus seinen vergangenen fünfzehn Schaffensjahren, in denen er die Rubberband-Methode erfand und perfektionierte.
Zwei Seelen in (s)einer Brust
Quijada selbst ist seit seiner Teenagerzeit dem Hip Hop verbunden. Und versucht mit seiner klassischen Tanzausbildung, wie er nach dem ersten Teil der Aufführung sagte, diese zwei Teile seines Selbst miteinander zu verschmelzen. Dass ihm dies gelingt, war kraftvoll und fließend, athletisch und anmutig zugleich nun zum ersten Mal in Deutschland, in Potsdam zu erleben. Denn seine sieben Tänzer, drei Frauen und vier Männer beherrschen "Rubberband" perfekt.
Die Rubberband-Methode
Dessen grundlegende Prinzipien sind die Gewichtsverteilung um das Zentrum der Schwerkraft, eine große Beweglichkeit, die an den Händen, Ellbogen und Schultern stattfindet, sowie die Verwendung des Körpers als mehrdimensionales Schneid-Instrument; Letzteres ist ein Begriff aus dem Hip Hop. Diese äußerst elastische Technik begünstigt Bewegungen des Körpers aus der Vertikalen – wie im klassischen Ballett – in die Horizontale – wie im Hip Hop – und ermöglicht es, wie eine Brücke zwischen den zwei (nahezu gegensätzlichen) Bewegungsstilen zu wechseln. Und beide profitieren ungemein davon.
Es ist eine Augenweide, wenn die Rubberband-Frauen und Männer zu Beginn des zweiten Teils im Duett zu Prokofievs "Romeo und Julia" tanzen und dabei aus den "Straßeneinzel-kämpfern", die ihre überbordende Kraft in Battles messen, Paare werden, die sich gegenseitig zwar nichts schenken aber ungeheuer kraftvoll und elegant zugleich "zusammenfließen". Zumindest, was ihre (Tanz-)Energie betrifft.
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Die Kraft der Straße verschmilzt mit der Musik des Spätbarock
Doch Quijada interpretiert nicht nur Ballettmusik von Prokofiev und Strawinskys "Feuervogel" auf seine Weise, sondern gibt auch der Violinen- "Partita" von Johann Sebastian Bach oder "Le Badinage" des französischen Gamben-Virtuosen Marin Marais´ einen zeitgemäß-nachfühlbaren Ausdruck. Die raue, authentische Kraft der Straße verschmilzt mit den affektvollen Höhen des Spätbarocks zu einem intensiven Gemisch, das die Gefühlstiefen und die Dramatik der Musik erst wirklich fühl- und tänzerisch kongenial sichtbar macht.
Beispielsweise auch dadurch, dass hier nicht (mehr) Frauen- und Männerrollen getanzt werden, sondern sich weibliche und männliche Menschen anziehen und abstoßen, mit ihrer jeweils eigenen starken Dynamik und Energie. Oder dass Frauen so gut wie gar nicht mehr in die Höhe gehoben werden, sondern dass sich gleichstarke Partner über den Rücken überrollen.
Jede Menge Humor
Man hätte noch stundenlang den Duetten, Trios und den großartigen Gruppenszenen zuschauen können, die immer wieder auch zur Musik des kanadischen DJs (Turntable), Scratchers und klassischen Musikers Jasper Gahunia abrollten, der mit der Rubberbanddance Group eng zusammengearbeitet hat. Auch er wurde durch seine Wurzeln in der klassischen Musik und im Hip Hop dazu gebracht, einen eigenen Stil zu kreieren.
Und: wie gut, dass Victor Quijada auch jede Menge Humor besitzt, und seine hoch energetisierenden Performances durch die Tänzer unterbrechen und diese in Streit darüber ausbrechen lässt, wer von ihnen jetzt tanzen darf. Im besten Fall ergibt sich auch daraus eine fruchtbare Synthese.
Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Bill Hebert
Dieser Text erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 26.05.17
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