Leben und Tod, farbenfroh

Mexi­ko ist ein Sehn­suchts­land. Was sei­ne viel­fäl­ti­ge Kul­tur und Natur und natür­lich auch die Viel­far­big­keit angeht. Dar­auf nimmt auch die aktu­el­le Aus­stel­lung "Far­ben­froh Mexi­ko" in der ae-Gale­rie Bezug.

Aber nicht nur, denn die bei­den Künst­le­rin­nen Sibyl­la Weis­wei­ler und Bir­git Gin­kel, die das gran­dio­se Alters­werk – ein Künst­ler­buch auf Papy­rus – von Rudolf Sitt­ner flan­kie­ren, beschäf­ti­gen sich mit dem legen­dä­ren "Dia de los muertos"(Tag der Toten), der zum imma­te­ri­el­len Welt­kul­tur­er­be gehört.

Dop­pel­blatt aus der Kas­set­te "Méxi­co" von Rudolf Sitt­ner, nach Alfons Goldschmidt

Denn die Vor­stel­lung, dass der Tod etwas Schwar­zes, Schwe­res, End­gül­ti­ges ist, wird nicht über­all auf der Welt und schon gar nicht in Mexi­ko geteilt. Und die­se Aus­stel­lung, deren Mit­tel­punkt das Alters­werk des 80-jäh­ri­gen Rudolf Sitt­ner ist, wird von den ver­pi­xel­ten Still­le­ben Sibyl­la Weis­wei­lers – aus ihrer Serie "Ende" mit far­bi­gen Toten­schä­deln und Opfer­ga­ben – und von far­ben­fro­hen "Ofren­di­tas" (klei­nen Opfer­ga­ben in einem Haus­al­tar) von Bir­git Gin­kel begleitet.

Doch im Zen­trum ste­hen die­se, nur mit wei­ßen Hand­schu­hen zu berüh­ren­den, Papy­rus­sei­ten an denen Rudolf Sitt­ner mehr als andert­halb Jah­re gear­bei­tet hat und die auf Alfons Gold­schmidts Auf­zeich­nun­gen "Auf den Spu­ren der Atz­te­ken", ein mexi­ka­ni­sches Rei­se­buch, von 1927 basieren.

Gold­schmidt war ein jüdi­scher links intel­lek­tu­el­ler Jour­na­list und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, der von 1879 bis 1940 leb­te, in Mexi­ko-Stadt lehr­te, schließ­lich dort­hin vor den Nazis emi­grier­te und auch dort starb.

An einer Gale­rie­wand hän­gen jetzt drei Sei­ten gerahmt aus der Schmuck­kas­set­te neben­ein­an­der und man steht fas­zi­niert davor, weil die Typo­gra­fie – das Buch wur­de von Hand geschrie­ben – so exakt und so flie­ßend zugleich ist und unge­mein orga­nisch mit den far­bi­gen Zeich­nun­gen verschmilzt.

Von wei­tem sieht die gold­schim­mern­de Schrift bei­na­he wie ein stei­ner­ner Unter­grund aus, auf dem die Men­schen, Pflan­zen oder Tie­re ste­hen. Doch je näher man her­an­geht, des­to mehr taucht man in die Details und die Tie­fe die­ses gran­dio­sen Kunst­werks ein, für das der Künst­ler – wie frü­her vor dem Guten­berg-Druck bei den  Inku­na­beln – lan­ge in Klau­sur ging.

Man sieht ein rei­fes, tie­fes Werk von gro­ßer Kön­ner­schaft und Prä­zi­si­on, von dem nur ein ein­zi­ges Exem­plar exis­tiert und das für Gale­ris­tin Ange­li­ka Euch­ner, die den Cott­bus­ser Künst­ler Rudolf Sitt­ner zum ers­ten Mal aus­stellt, "eines der schöns­ten Künst­ler­bü­cher, die sie gese­hen hat", ist. 

Dazwi­schen hän­gen meh­re­re feder­leich­te Assem­bla­gen aus Lin­den­holz mit auf­ge­fä­del­ten gel­ben Stu­den­ten­blu­men von der Decke, deren Samen Bir­git Gin­kel selbst aus Mexi­ko mit­brach­te, als sie 2008 das Land bereis­te und die Toten­fei­ern in Mexi­ko-City und Pátzcua­ru miterlebte.

Der mexi­ka­ni­sche Toten­kult hat sie seit­dem nicht mehr los­ge­las­sen und mit ihrem Ver­ein Cala­ca hat sie unter ande­rem 2023 die Toten­fei­er im Ber­li­ner Hum­boldt Forum aus­ge­rich­tet, zu der 30.000 Besu­cher strömten.

Die Aus­stel­lung in der ae-Gale­rie wird auch dar­auf Bezug neh­men, denn am 2. Novem­ber (hier­zu­lan­de: Aller­hei­li­gen und tra­di­tio­nell sehr still) wer­den dort Deut­sche und Mexi­ka­ner in einer vier­stün­di­gen Ver­an­stal­tung von ihren Ritua­len erzäh­len und den Tod höchst­wahr­schein­lich in ein sehr poly­chro­mes Licht rücken.

Astrid Priebs-Trö­ger

08. Oktober 2024 von Textur-Buero
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