Masse für die Masse

Gigan­ti­sche Land­ma­schi­nen, nahe­zu men­schen­lee­re Tier­fa­bri­ken und am Ende namen­lo­se Pro­duk­te – das ist zu sehen in dem sog­haf­ten Doku­men­tar­film mit dem Titel "Land: Sin­fo­nie einer indus­tria­li­sier­ten Land­wirt­schaft" von Timo Großpietsch. 

Und wer ein "Zurück zur Natur" oder pit­to­res­ke Land­schafts­bil­der damit asso­zi­iert, ist von vorn­her­ein auf dem Holz­weg. Anfangs erin­nert die knapp 80-minü­ti­ge Doku­men­ta­ti­on an eini­ge von Valen­tin Thurn, die eben­falls in die moder­nen hoch­in­dus­tria­li­sier­ten Land­wirt­schafts­be­trie­be der west­li­chen Indus­trie­län­der hin­ein­leuch­ten und die hoch­ef­fi­zi­en­ten "gna­den­lo­sen" Abläu­fe dar­in zeigen.

Doch Groß­pietsch geht noch einen Schritt wei­ter. Er zeigt nicht nur die uni­for­me, iden­ti­täts- und see­len­lo­se Pro­duk­ti­ons­wei­se, in der die weni­gen Men­schen wie Anhäng­sel der raum- und zeit­grei­fen­den Maschi­nen wir­ken, son­dern er zeigt Men­schen auch außer­halb ihrer Arbeitszeit.

Bei­spiels­wei­se bei Dorf- oder Schüt­zen­fes­ten und im Urlaub. Und auch hier wir­ken die­se wie uni­for­miert, immer noch im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes im Gleich­takt schrei­tend bezie­hungs­wei­se tan­zend. Und auch ihre Frei­zeit-Loca­ti­ons sind künst­lich geschaf­fe­ne "Para­die­se" wie das soge­nann­te "Tro­pi­cal Island" in Bran­den­burg oder ganz­jäh­rig geöff­ne­te, trost­lo­se Hallenskianlagen.

Die­se Ver­bin­dung zwi­schen Arbeit und Kul­tur auf­zu­zei­gen, geschieht nicht oft und in "Land. Sin­fo­nie einer indus­tria­li­sier­ten Land­wirt­schaft" wird dies gera­de­zu zum Kata­ly­sa­tor für die Erkennt­nis, wie sehr die kapi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se auch den/unseren (Kul­tur-) Kon­sum bestimmt und umge­kehrt. Und wie iden­ti­täts­stif­tend sie ist.

Die Men­schen im Film wir­ken bei der Arbeit bei­na­he wie Gefäng­nis-Insas­sen; sie haben wenig bis gar nichts mit­ein­an­der zu tun. Sie ver­rich­ten die immer glei­chen mono­to­nen Hand­grif­fe im meis­tens von Maschi­nen vor­ge­ge­be­nen Tempo.

Die Spar­gel­ste­cher und die Erd­beer­pflü­cker­in­nen, die bei der Ern­te auf Knien rut­schen müs­sen, schei­nen davon aus­ge­nom­men. Doch man weiß, dass auch sie nach Leis­tung bezahlt wer­den und sich des­halb spu­ten müs­sen. Es tut men­tal und bei­na­he kör­per­lich weh, ihnen dabei zuzusehen.

Timo Groß­pietschs Film – der völ­lig ohne Kom­men­ta­re aus dem Off aus­kommt – lebt dabei von sei­ner kon­ge­nia­len Dra­ma­tur­gie, dem asso­zia­ti­ven Schnitt und der extra dafür kom­po­nier­ten und ein­ge­spiel­ten Musik von Jazz­pia­nist Vla­dys­lav Sen­de­cki, die neben den Bil­dern gera­de­zu einen eige­nen Sog entwickelt.

Sie schafft neben den wie Sci­ence-Fic­tion wir­ken­den Maschi­nen-Sze­nen eine inne­re emo­tio­na­le Erzäh­lung, die die Zuschauer*innen zum einen an den wort­lo­sen Strei­fen bin­det und zum ande­ren zeigt, was in die­ser Wirt­schafts­wei­se fehlt, näm­lich: mensch­li­ches Maß und Ver­bin­dung, Krea­ti­vi­tät und Seele.

Da ist es nur kon­se­quent, auch die End-Pro­duk­te die­ser ener­gie­in­ten­si­ven Land­in­dus­trie zu nor­mie­ren und alles, was nicht dazu passt, gna­den­los aus­zu­sor­tie­ren. Sozu­sa­gen gleich­för­mi­ge Mas­se für die Mas­se zu produzieren.

Und wenn man weiß, dass welt­weit und auch hier­zu­lan­de durch das Fort­schrei­ten der Indus­tria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft immer mehr bäu­er­li­che Exis­ten­zen ver­nich­tet wer­den, muss einem ban­ge sein/werden vor einer fort­schrei­ten­den kul­tu­rel­len und geis­ti­gen Ver­ödung der Land­stri­che und der Menschen.

Astrid Priebs-Trö­ger

Der Film ist bis Novem­ber 2022 in der ARD-Media­thek ver­füg­bar.

14. November 2021 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Film | Schlagwörter: , , | Schreibe einen Kommentar

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