Raus aus dem Kokon!
Sahar Damoni forscht in "Nawa" weiter zum Thema Abtreibung unter christlich-arabischen Frauen. "Nawa", das bei den Tanztagen in Potsdam Deutschlandpremiere feierte, ist eine surreale Zwischenweltperformance. Sie spiegelt Emotionen und Träume während der OP, im narkotisierten Zustand.
In einem ersten Akt wird die Sinnlichkeit, Erotik, Kraft der unangepassten ("schwarzen") Frau, die in den männlich hierarchischen Kulturen auch immer ein "Gefäß" ist, und eine Vorbestimmung als Mutter oder Hure hat, gezeigt. Später wird in sie ein "weißes" (Hochzeits)Kleid wie in einen Kokon gesteckt, aus dem sich diese Tänzerin kraftvoll befreit. Das bodenlange netzartige, gehäkelte Gewand wird sukzessive aufgeräufelt und als ein unendlich langer Faden zwischen zehn Metallstangen neu verwoben.
Damit sind die eigenen, engen Körpergrenzen gesprengt, aber natürlich ist auch dieser – jetzt öffentlich sichtbare- weibliche Bereich eingegrenzt. Er ermöglicht jedoch an einigen Stellen "Durchgänge". Es gibt in "Nawa" immer wieder Männerstimmen, die Unverständliches sagen, Geräusche der medizinischen Geräte während der OP und auch Ultraschallbilder des Kindes, das nicht geboren werden wird. Und sogar Video-Sequenzen, auf denen ein Säugling plappert und gebadet wird – dieses "Was wäre wenn" …
Aber letztendlich gibt es vor allem diese, die einsamste aller weiblichen Entscheidungen. Denn während die Zeugung ein gemeinsamer Akt ist, wird die Abtreibung (oft) den Frauen allein überlassen, weil die Beziehung vor so einer Entscheidung zumeist schon gescheitert ist oder gar nicht bestand. Und Frauen immer noch die Hauptlast/Verantwortung für die Entwicklung eines neuen Menschen tragen und ihr eigenes Leben dadurch massiv beeinflusst/eingeschränkt wird …
In "Nawa" präsentiert sich Sahar Damoni wiederum als starke selbstbestimmte Frau, als tanzende Choreografin, die mit großem Einfallsreichtum und Engagement an jahrhundertealten Tabus kratzt, die nicht nur im Nahen Osten sondern auch bei uns nach wie vor existieren.
Astrid Priebs-Tröger