Schwein gehabt?
Verspielt, skurril und mit ungewöhnlich vielen Worten startete das 5. Radar-Festival für junges Figurentheater im t‑Werk.
Sven Tillmann, Frieder Miller und Gilda Coustier, die den ersten Abend bestritten, sind allesamt Absolventin:nen der renommierten Berliner Ernst Busch Hochschule.
Sven Tillmann scheint in dem braunen Ledersessel in der Zimmerecke festgewachsen zu sein. Beinahe regungslos fläzt er darin und nur sein mechanisches Ein- und Ausknipsen der Stehlampe zeigt, wie (langsam) die Zeit vergeht.
Woher kommt diese Langeweile, seine Ermattung, das andauernde Zögern? Plötzlich kommt Bewegung in ihn, fast ohne sein Zutun falten seine nervösen Hände ein kleines Papierschiff. Und dieses bringt den introvertierten Typen mit Riesenhornbrille und schwarzem Overall aufs weite Meer und schließlich auf eine winzige sandige Insel.
In "Sand fressen", dieser skurrilen modernen Robinsonade, greift Tillmann, der sowohl Schauspiel als auch Puppenspiel studiert(e), pointiert und vor allem saukomisch Probleme des modernen Menschen auf: Vereinzelung und Einsamkeit, übermäßiger Ressourcenverbrauch und vor allem seine allumfängliche Herrschaft über die Natur.
Die hier aber sukzessive kippt, als (s)ein verfressenes kleines Schwein den Spieß, an dem es brutzeln soll, buchstäblich umkehrt. Großartig, wie herrlich doppelbödig auf einmal alle Gewissheiten auf den Kopf gestellt sind und sich der Typ aus Angst vor überbordender Einsamkeit "freiwillig" selbst filetiert.
In "Unordnung" sind auch die Figuren und Situationen der zweiten Produktion des Eröffnungsabends. Frieder Miller und Gilda Coustier rackern sich in "Out of order" als Bühnenarbeiter :innen im t‑Werk ab.
Und dort kommen die, die man im Scheinwerferlicht sonst nicht wahrnimmt, endlich mal zu Wort: Staubsauger, Wischmops, Scheinwerfer, Vorhänge, Leitern und anderes, was einen Theaterabend erst möglich macht. Sie brummen, schäumen, leuchten, rascheln und reden.
Und thematisieren, wie wichtig sie im großen Ganzen, was eine Theateraufführung ja ist, sind. Und beklagen sich, wie wenig man sie sieht. Manchmal toppt dabei die eigene Eitelkeit sogar die der Stars und Sternchen, denen sie sonst dienen müssen.
Im queer feministischen Theaterkollektiv Manufaktor, zu dem die beiden menschlichen Protagonist:innen von "Out of order" gehören, fehlt der deutliche Fingerzeig auf sexuelle Übergriffe im immer noch hierarchisch gegliederten Theatersystem natürlich nicht.
Das ist gut so, geht aber im allgemeinen Bühnen-Gewusel dann doch unter und als am Schluss auch noch die Pyrotechnik zeigen kann, was sie draufhat, zerfasert der Abend leider immer mehr ins Unverbindliche.
Astrid Priebs-Tröger
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