Sehend hoffen und widerstehen!

Das Büh­nen­bild ist düs­ter: Schwar­ze Bret­ter­wän­de sind im Halb­kreis ange­ord­net, in des­sen Mit­te sich ein hohes Holz­po­dest befin­det. Ist es ein Schiff oder ein Gal­gen? Wer wird es steu­ern, wer dar­an  hän­gen? Gleich zu Beginn zieht ein Mann eine Kar­re, auf der zusam­men­ge­krümmt eine mensch­li­che Figur liegt. Und ein Ande­rer weist gebie­te­risch den Zau­dern­den an, den auf dem Kar­ren Lie­gen­den an den Fel­sen zu schmieden.

Die Wan­der­thea­ter­grup­pe Ton und Kir­schen hat dies­mal zu ihrer Aischy­los-Pre­mie­re von "Der gefes­sel­te Pro­me­theus" in die Neue Zie­ge­lei nach Glin­dow ein­ge­la­den, auf ein ehe­ma­li­ges, inzwi­schen wie­der­be­leb­tes Indus­trie­ge­län­de, dem auch durch Kunst und Kul­tur neu­es Leben ein­ge­haucht wird. Bild­hau­er Chris Hin­ze hat hier sein Ate­lier; sein dys­to­pisch wir­ken­des "Traum­schiff" steht auf dem Hof.

Foto: Jean-Pierre Estournet

 

Der wegen des Feu­er­raubs für die Men­schen für immer ange­ket­te­te Pro­me­theus will Zeus (s)ein gehei­mes Wis­sen nicht ver­ra­ten. Und nach­dem ihn der Göt­ter­bo­te Her­mes schließ­lich ein letz­tes Mal auf­for­dert, end­lich den Namen der Hetä­re zu nen­nen, wel­che Zeus und sei­ne Gefolgs­leu­te die ewi­ge Herr­schaft kos­ten wird, und der Titan aber­mals schweigt, wird er ins Schat­ten­reich des Hades verbannt.

Das ist die Kurz­fas­sung die­ser Göt­ter­ge­schich­te, schein­bar weit weg vom Hier und Heu­te. Doch nicht so weit, wie man auf den ers­ten Blick glau­ben mag. Vom "Wider­stand gegen all­mäch­ti­ge Auto­ri­tät" und von einem "poli­ti­schen Gefan­ge­nen" wird in der Stück-Ankün­di­gung gesprochen.

Und wie David John­s­ton mit schwar­zer Bril­le und eben­sol­chem Anzug durch die düs­te­re Sze­ne­rie stol­ziert, denkt man nicht an ein anti­kes Stück son­dern an all­ge­gen­wär­ti­ge Dra­ma­tik. Und: Macht­be­ses­sen­heit und Grau­sam­keit gehö­ren noch immer zusammen.

Doch der wirk­li­che Mit­tel­punkt der Insze­nie­rung ist nicht Zeus, son­dern Pro­me­theus. Bei Ton und Kir­schen ist er eine über­le­bens­gro­ße höl­zer­ne Mario­net­ten­fi­gur – geführt von Dai­sy Wat­kiss – mit bren­nen­den Augen und auf­ge­wühl­ter See­le, der Mar­ga­re­te Biereye stimm­lich gro­ße Kraft und geis­ti­ge Klar­heit verleiht.

Foto: Jean-Pierre Estournet

Und die­se Figur, die  in der ein­stün­di­gen Auf­füh­rung eine außer­or­dent­li­che kör­per­li­che Wand­lung voll­zieht, sich immer mehr auf­rich­tet und schließ­lich das elen­de Scha­fott in einen strah­len­den Thron ver­wan­delt, der nach­ge­ra­de leuch­tet und für ande­re weg­wei­send sein könn­te, erin­nert z. B. an jeman­den wie Juli­an Assange.

Denn die­ser Pro­me­theus ist ein Seher, er "weiß", dass die Welt sich wei­ter­dreht und Tyran­nen (irgend­wann) stür­zen. In die­sem Zusam­men­hang ist er den Men­schen, deren Mensch­wer­dung er durch Kul­tur beför­der­te, über­le­gen, denn er konnte/wollte ihnen laut Mythos nur "blin­de Hoff­nung" geben.

Und gera­de da ist er greif­bar, der Bezug zum Hier und Heu­te: End­lich sehend wer­den, nicht auf (blin­de) Hoff­nung ver­trau­en, son­dern sich auf die Suche machen, sel­ber den­ken und füh­len und Alter­na­ti­ven ent­wi­ckeln zu dem was (gera­de) herrscht. Und so hin­ter­lässt der Abend, der auf dem Thea­ter in Rauch­schwa­den endet, doch einen mäch­ti­gen Fun­ken in der Seele.

Foto: Jean-Pierre Estournet

Das scheint auch bit­ter nötig: Am Ein­lass ließ der Geschäfts­füh­rer der Zie­ge­lei und Ver­an­stal­ter des Thea­ter­abends nicht mit sich reden. Auch für die Open-Air-Thea­ter­auf­füh­rung gel­te die 3‑G-Regel; bei einer Inzi­denz von 30,9 müss­ten sich "Unge­impf­te" (auch drau­ßen) vor­her tes­ten las­sen. Meh­re­re Besucher*innen wur­den dar­auf­hin abge­wie­sen und eini­ge der Umste­hen­den fan­den die­se auto­ri­tä­re Maß­nah­me ziem­lich empa­thie­los ein­fach nur "kon­se­quent".

Astrid Priebs-Trö­ger

23. August 2021 von Textur-Buero
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