Seht her, hier bin ich!

Ein blon­dier­ter Typ mit Jeans und Leder­ja­cke und einem roten Blu­men­hemd läs­sig um die Hüf­ten geschlun­gen, emp­fing am Don­ners­tag­abend die Besu­cher der chi­ne­si­schen Tanz­pro­duk­ti­on "Hom­mage", die als Deutsch­land­pre­mie­re in der fabrik auf­ge­führt wurde.

Der andro­gyn wir­ken­de Jun­ge wink­te freund­lich, wenn jemand her­ein- und an ihm vor­bei­kam und an einer der drei Sei­ten der lauf­steg­ar­ti­gen wei­ßen Büh­ne Platz nahm. Im Rhyth­mus der im Hin­ter­grund lau­fen­den Musik begann er sich lang­sam zu bewe­gen, wie in Selbst­ver­ge­wis­se­rung und –ent­de­ckung.

Hom­mage, ©Hu Yifan

Sei­ne Selbst­in­sze­nie­rung unter­strich sei­ne star­ke Prä­senz, die sich noch stei­ger­te, als im Hin­ter­grund drei wei­te­re blut­jun­ge Typen auf­tau­chen. Auch sie waren urban – Jeans und modi­sche (Leder-)jacken – jedoch rela­tiv uni­form geklei­det. Und sie che­cken, wer um sie rum/im Raum ist und wir­ken wie Mit­glie­der einer Gang, die sich gera­de auf der Stra­ße trifft.

Gleich­zei­tig wis­sen sie, wie man unge­zwun­gen (aber for­ma­li­siert) zu ande­ren Kon­takt auf­nimmt, indem man z. B. Hand­herz­chen zeigt. Auch das wie eine Insze­nie­rung aus dem all­ge­gen­wär­ti­gen world wide web in Zei­ten der (Post-)Globalisierung. Uni­ver­sell verständlich.

Hom­mage, ©Hu Yifan

Als sie ihre Jacken aus­zie­hen und ihre beein­dru­cken­den Ober­arm-Mus­keln spie­len las­sen, wird sicht­bar, dass dies auch ein Spiel mit Geschlech­ter­rol­len ist, denn die andro­gyn wir­ken­den Jun­gen mit den schwe­ren Sil­ber- oder klun­k­ri­gen Per­len­hals­ket­ten, zei­gen jetzt zu klop­fen­der Mini­mal­mu­sic viel (Mannes-)Kraft und auch Anklän­ge an tra­di­tio­nel­le chi­ne­si­sche Kampf­küns­te in ihren geschmei­di­gen Gruppentänzen.

Sie erin­nern nicht an das Bild der berühm­ten uni­for­men Ter­ra­kotta­krie­ger, son­dern sind sehr kraft­vol­le und prä­sen­te Tän­zer, die ver­schie­dens­te kul­tu­rel­le Ein­flüs­se in sich ver­ei­ni­gen. Und dabei gemein­sam auch viel Spaß haben. Die Sze­ne­rie ändert sich schlag­ar­tig, als neon­far­bi­ge Häkel­hau­ben, bun­te Pelz­män­tel und gemus­ter­te Shorts und Leg­gings aus dem Schnür­bo­den fal­len und die vier sich kurz dar­auf damit kos­tü­miert wie auf einem Lauf­steg präsentieren.

Hom­mage, ©Hu Yifan

Der jun­ge Cho­reo­graf Yang Zhen, der die Com­pa­ny Red Vir­go in Peking grün­de­te und lei­tet, fragt seit 2014 nach dem Platz von Min­der­hei­ten (zum Bei­spiel von jun­gen Arbeits­mi­gran­ten, die vom Land in die Stadt strö­men) in der chi­ne­si­schen Gesellschaft.

Yang Zhen will in "Hom­mage" die Dar­stel­lung von Kör­per und Emo­ti­on im Kon­text chi­ne­si­scher Mode­be­we­gun­gen unter­su­chen. Er bezieht sich dabei u. a. auf eine Grup­pe aus Guang­dong, die sich "Smart" nennt und sich auf vir­tu­al rea­li­ty und non­kon­for­mis­ti­sche Mode­trends, die aus Japan nach Chi­na hin­über­schwapp­ten, und in Chi­na sehr popu­lär sind, berufen.

Doch die auf­fäl­li­ge und unge­wöhn­li­che Mas­ke­ra­de spie­gelt u. a. das Gefühl der kol­lek­ti­ven Ent­frem­dung wie­der und man ist in der dyna­mi­schen Insze­nie­rung froh, als die vier Jun­gen end­lich "pur" wie­der auf­tau­chen, und durch gemein­sa­mes (melan­cho­li­sches) Tönen und Sin­gen wirk­lich zu einer Grup­pe verschmelzen/eine gemein­sa­me Stim­me finden.

Und zum Ende hin, auch sehr selbst­be­wusst in den Small­talk mit dem über­wie­gend gleich­alt­ri­gen Publi­kum in der fabrik gehen, so als hät­ten sie sich eben in einer Ber­li­ner Dis­ko­thek getrof­fen und wür­den sich schon län­ger kennen.

"Hom­mage" bedeu­tet in die­sem Zusam­men­hang Anerkennung/Würdigung ihres eige­nen Selbst, ganz ohne kul­tu­rel­le und/oder sozia­le Schran­ken. Oder wie in einem eng­lisch­spra­chi­gen Text ein­ge­spro­chen wur­de: Wir sind klei­ne Leu­te in einer klei­nen Welt in einem gro­ßen Uni­ver­sum … kommt zusam­men, tanzt und liebt ….

Astrid Priebs-Trö­ger

13. September 2024 von Textur-Buero
Kategorien: Allgemein, Performance, Tanz | Schlagwörter: , , , , | Schreibe einen Kommentar

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