Starke Frauen, starke Bilder
Das Bild "Die Freiheit führt das Volk" von Eugene Delacroix ist weltberühmt. Darauf führt eine barbusige Frau die Aufständischen der Julirevolution von 1830 an. An dieses Bild musste ich denken, als ich gestern zur Eröffnung von "Made in Potsdam" 2017 Nadia Beugrés Tanzperformance "Legacy" sah.
Darin begeben sich ein Dutzend jüngere und ältere, schwere und leichte, weiße und schwarze Frauen auf einen langen gemeinsamen Marsch. Schon bevor die Vorstellung anfängt, laufen sie als äußerst heterogene Gruppe gemeinsam einem Ziel entgegen. Mit großer Willenskraft, gegenseitiger Solidarität und wunderbarer Anmut tun sie dies. Man ist hautnah dabei, spürt ihre Kraft und ihre Erschöpfung, ihr Aufbegehren und ihre Verzweiflung.
Die ivorisch-französische Tänzerin Nadia Beugré, die für dieses Projekt mit 11 Potsdamer Laiendarstellerinnen arbeitete, möchte mit "Legacy" (Vermächtnis) Frauen Tribut zollen, die sich beispielsweise wie die Frauen von Bassam 1949 für die Freilassung ihrer Männer einsetzten und dafür misshandelt wurden.
Beugré zeigt ihre Protagonistinnen und sich selbst dabei nicht (vordergründig) als Kämpferinnen für Frauenrechte, auch, wenn dies ein weiteres starkes Bild der Inszenierung nahelegen könnte: Hunderte Büstenhalter, die anfangs als Riesenberg auf der Bühne liegen, werden nach dem langen Marsch als vielfarbiger Vorhang in luftige Höhen verbannt.
Der BH, vor einhundert Jahren als Fortschritt aus dem Korsett begrüßt, galt und gilt in der westlichen Frauenbewegung als Metapher für alle Arten von Einengung. "In Afrika", so Nadia Beugré in einem Interview, "benutzen Frauen ihre Nacktheit als Waffe." Dort sei es Tradition, dass sie sich bei dramatischen Ereignissen entblößen, um ihre Ergriffenheit zu demonstrieren.
Auch in "Legacy" hat die Entblößung des Oberkörpers etwas Rituelles. Zunächst beginnen die Läuferinnen zu schwitzen und sich nach dem Zwiebelprinzip ihrer einzelnen Häute zu entledigen. Doch je länger sie auf ihrem Weg sind und je stärker sie sich verausgaben, umso klarer wird, dass die letzten Hüllen fallen werden. Wie die barbusige Marianne auf Delacroix‘ Bild werfen sie sich so in den Kampf. Stark und zerbrechlich zugleich!
Als gelöste Frauen, die bereit sind, für die Freiheit zu kämpfen. Und: es wird Zeit, sich (wieder) auf den Weg zu machen. Auch dies legen die Inszenierung und der Marsch der Frauen am 21. Januar 2017 – am Tag nach der Trump-Amtseinführung nach Washington – nahe.
Astrid Priebs-Tröger