Was am Ende wichtig ist
In Deutschland kommen etwa 98 Prozent aller Kinder im Krankenhaus zur Welt. Und am Lebensende ist es nicht viel anders: Obwohl sich drei von vier Menschen wünschen, zu Hause zu sterben, beenden die meisten ihr Leben in einer Klinik beziehungsweise in einem Pflegeheim.
Die Argumente gegen eine Hausgeburt bzw. ein Sterben in den eigenen vier Wänden sind ziemlich ähnlich und zumeist medizintechnischer Natur. Auch die harten Fakten sprechen (eigentlich) dagegen: Palliativmedizin, die fast alle am Lebensende brauchen, erhielten 2014 nur 30 Prozent der Sterbenden in Deutschland.
Wie Sterben unter fachkundiger Begleitung gut zu Hause funktionieren kann, beschreibt die Palliativmedizinerin Petra Anwar gemeinsam mit dem Schriftsteller John von Düffel in ihrem Buch "Was am Ende wichtig ist."
Ich wollte es eigentlich Stück für Stück lesen. Doch diese zwölf Berichte über selbstbestimmtes Sterben zogen mich total in ihren Bann. Petra Anwar erzählt ganz unterschiedliche (Lebens- und) Sterbensgeschichten.
Und wer noch nicht ahnte, wie sehr beides zusammenhängt, dem wird dies hier ungeheuer klar. Da ist die 90jährige Frau, die ihr Leben lang allein war und sich für ihr Sterben eigentlich auch nichts anderes wünschte.
Die Palliativmedizinerin schildert, wie sehr sich die Alte wehrte in ein Hospiz zu gehen, selbst als ihr Tumor unaufhörlich wucherte und unkontrolliert blutete.
Anwar überredete sie, und es hatte nicht nur einmal den Anschein, dass dieser Wechsel und die Aufgabe ihres gewohnten Lebens der Kranken mehr zusetzten als das eigentliche Krebsgeschwür. Die Ärztin bekennt im Buch, dass es ihren eigenen Ängste waren, die sie veranlassten, gerade diese Frau zu verlegen.
So viel Offenheit und Selbstreflexion ist selten unter Medizinern. Und gerade dies macht dieses Buch so wertvoll (für mich): Zu spüren, dass man nicht einer „Autorität in Weiß“ ausgeliefert ist, sondern dass hier Menschen mit (eigenen) Gefühlen handeln und auch hadern.
Sehr berührend ist auch, was Petra Anwar über die jeweilig letzte Lebensetappe schreibt – die Annahme des eigenen Sterbens. Ist dies bei den Todkranken geschehen, kann der eigentliche Sterbeprozess einsetzen – und der verläuft dann zumeist entspannt und am Ende fast immer friedlich.
Mich erinnerten diese Berichte in einem Punkt auch an die Geburt meines Kindes. Nachdem die Ärzte einen Moment von mir/uns abgelassen hatten, kam es fast wie von selbst auf die Welt. Und das fühlte sich einfach groß und gut an!
Astrid Priebs-Tröger