Was bleibt?
Im Sommer 2022 konnte man sich mit einem Kahn über die Havel rudern lassen. Dieses Projekt "The River I" von Clément Layes war entstanden aus dem Nachdenken über den Tod seiner eigenen Mutter und lud zum Reflektieren über den eigenen Lebensfluss ein.
Jetzt war in den Berliner Uferstudios "The River II" zu erleben – eine immersive Theaterperformance von Jasna L. Vinovrṡki und der CIE "Public in Private" in drei Räumen bzw. an drei Stationen, die sich ebenfalls mit dem Sterben beschäftigte und damit, was von einem Menschen(Leben) übrigbleibt.
Zuerst betrat man eine Wohnung mit auffällig vielen Grünpflanzen. Selbst in den Vitrinen, in denen sonst Nippes oder Bücher stehen, standen sie. Die Inhaberin – dafür sprach auch die Kleidung an der Garderobe – ist/war wohl eine Pflanzenliebhaberin. Auffällig waren auch die vielen Medizin- und Aromaölfläschchen und drei Haarbürsten der Hausherrin.
Man tauchte also als völlig Fremde in einen sehr privaten Raum ein, von dem man nicht wusste, wem er gehört(e) und konnte sich aus den vorhandenen Gegenständen und Anordnungen dennoch ein (erstes) Bild von dieser Person machen.
Diese Station wurde über Kopfhörer, über die man auch dirigiert wurde, verschiedene Dinge zu tun, als Warm up, für das was kommen sollte, bezeichnet. Doch bevor es weiterging, durfte man Platz nehmen in dieser Wohnung, sollte ihre und die eigene Energie spüren, sich aufs Wesentliche konzentrieren.
Schließlich trat man aus diesem privaten Raum in einen weißen Saal ein, in dem auf einem Tisch eine (etwa 40 Jahre alte) Frau lag – bis zu den nackten Schultern mit einem weißen Laken bedeckt. Noch war man von dem, was folgen sollte, durch die Zuschauerposition auf dem Podium, getrennt.
Doch schon die ersten Anweisungen, die dieselbe Stimme gab, die vorher in der Wohnung gesprochen hatte und die wahrscheinlich zu der Gestorbenen auf dem Tisch gehörte, ließen erkennen, wohin die weitere Reise gehen würde.
Es folgten kulturelle Rituale wie Leichenwäsche, Trauerrede und Blütenblätter streuen, die den Übergang vom Leben zum Tod markieren. Immer wieder ergingen Aufforderungen ans Publikum, sich daran zu beteiligen, und so selbst Teil der performativen Trauergemeinde zu werden.
Im überwiegend weiblichen Publikum, von denen die meisten Personen unter 45 Jahre alt waren, hatten die Wenigsten wahrscheinlich selbst schon bewusste Trauererfahrungen; mich erinnerte die intensive Performance an den Tod meiner Mutter vor fünf Jahren.
Was bleibt von einem Menschen(Leben)? Vielleicht der Witz, den sich (hier) die Eltern über das Sterben erzählt haben? Als letzter Eindruck die apricotfarbige oder weiße Bluse? Oder eine besondere Energie, ein einzigartiger Geruch? Möglicherweise Redensarten oder gar Verhaltensregeln?
Da hierzulande mehr als Dreiviertel der Menschen in einem Krankenhaus bzw. in einer stationären Pflegeeinrichtung sterben, ist das Sterben, das dem Tod vorausgeht, in diese nicht öffentlichen Bereiche verbannt. Und wenn ein geliebter Mensch dann tot ist, trifft das Viele mit existenzieller Wucht. Weil sein Weg zum Ende eben unsicht- und damit unfühlbar bleibt.
Die "River II"-Performance, die das Private sensibel öffentlich macht, lässt einen nicht unbeteiligt zurück. Sie findet philosophische und poetische Bilder, sogar komische Situationen wie bei den vespernden Leichenwäscherinnen oder die Trauerrede, die nur aus den verschiedenen Rollen, Berufen und Mitgliedschaften besteht, kommen vor. Doch letztlich wird dieser/ein letzter Weg damit sicht- und erfahrbar. Und nach der Corona-Pandemie und der überbordenden Digitalisierung kollektiv und analog erlebbar.
Zuletzt war man zu einer raschen Folge von Videobildern geladen. Und hier schloss sich auch der Kreis zu "River I" und dem ewigen Fließen des Wassers, in dem wir wie alles Lebendige eine Zeitlang oben und schließlich wieder unten (mit)schwimmen. Dieser tröstliche Schluss ist der vor allem als zweckhaft definierten menschlichen Existenz des gegenwärtigen neoliberalen Zeitalters diametral entgegengesetzt.
Astrid Priebs-Tröger
Die Arbeit an diesem Artikel wurde "gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Programm NEUSTART KULTUR, Hilfsprogramm DIS-TANZEN des Dachverband Tanz Deutschland."