Zu nah, so fern
Die Ukraine kommt später dran, sagte Galeristin Angelika Euchner bis vor kurzem, wenn ihr Kunst aus diesem osteuropäischen Land angeboten wurde. Für Euchner, die sich viel mit arabischen Ländern und deren Künstler:innen beschäftigte, war die Ukraine – obwohl ihr bisher unbekannt – räumlich und kulturell einfach zu nah dran.
Der Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 veränderte dies schlagartig. Euchner sah kurz darauf in Berlin eine Ausstellung der Ukrainian Women Photographers Organization (UWPO) und lud deren Gründerin Anna Melnykova spontan dazu ein, mit ihr gemeinsam eine Ausstellung in der Potsdamer ae-Galerie zu gestalten.
"In the name of freedom 2.0" ist diese betitelt und gezeigt werden mehr als zwei Dutzend sehr unterschiedlicher Arbeiten von 25 Fotografinnen. Farb- und schwarz-weiß Bilder, Schnappschüsse und aufwendige Collagen, symbolisch überhöhte Inszenierungen und spontane Alltagsbeobachtungen.
Es gibt formal und thematisch kaum etwas Verbindendes zwischen den Fotografien, die noch bis 6. Juli im oberen Raum der Galerie hängen, außer, dass sie seit 2011 von Frauen gemacht wurden und ein vielfältiges Kaleidoskop der äußeren und inneren Befindlichkeiten dieses osteuropäischen Landes, das seit drei Jahrzehnten nach seiner eigenen Identität sucht, abbilden.
Blau und gelb – die ukrainischen Nationalfarben, Symbol des Himmels und des Weizens – sind auf vielen Arbeiten auszumachen. Sei es bei den fotografierten, folkloristisch bemalten Holzhäusern, die einladend im Schaufenster der Galerie hängen, dem Ausstellungsplakat mit den weißen Tauben oder auch nur bei den Autositzen, die eine der Fotografinnen durchs offene Autofenster abgelichtet hat.
Außerdem sind sehr viele, in unterschiedlichem Grade marode Gebäude zu sehen. Anna Melnykova hat eine dreiteilige schwarz-weiße Foto-Collage des "Hauses des Kaufmanns" in Charkiw kurz nach seiner ersten Kriegsbeschädigung erstellt. Das repräsentativ-geschichtsträchtige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist "Constitution Square" betitelt und zeigt auch die Brüche und Verwerfungen, die das von Russland (un-)abhängige Land schon länger betreffen.
"Russland" oder auf einem Foto – "Rusya" als knieende, nahezu unbekleidete junge Frau mit geschlossenen Augen – ist auf vielen der Fotografien anwesend. Denn die enge kulturelle und menschliche Verbundenheit ist nicht zu leugnen, ebenso wenig, wie die Energien des voneinander (un-)abhängigen Transformationsprozesses seit den 1990er Jahren.
Wenn man auf den Fotos Menschen ins Auge blicken kann – auf vielen sind deren Blicke abgewendet, die Porträtierten nur von hinten zu sehen oder Gesichter künstlich verfremdet – kann man eine tiefe Melancholie spüren.
Wie auf dem zweigeteilten Porträt von einer Großmutter und ihrer noch kindlichen Enkelin von Olena Morozova, beide mit roten Shirts, auf dem Erstere schon aus dem Foto zu entschwinden droht und Letztere immer mehr an Kontur gewinnt, je länger man hinsieht. Aber auch ihr ausdrucksstarkes Gesicht hat eine große Portion Traurigkeit im nicht mehr kindlichen Blick.
Dieser melancholische Gemütszustand, die vorherrschende Symbolhaftigkeit und auch die orthodoxe Religiosität sind für die meisten Betrachter:innen hier zu Lande wahrscheinlich ziemlich fremd. Doch die Ausstellung ist gut geeignet, sich gerade damit auseinanderzusetzen und einzufühlen. Vor allem, weil sie die Atmosphäre "vor dem Krieg" subtil in sinnlich-erfahrbaren Bildern einfängt.
Und auch für das menschliche Grauen, das Krieg immer bedeutet, berührende Bilder findet. Wie das der drei Jungen von Marysya Myanovska, die vor dem noch unzerstörten Wohnblock ihrer Kindheit einander eng umarmend stehen und sich dort vielleicht zum letzten Mal dort begegnet sind.
Astrid Priebs-Tröger
Zur Finissage der Ausstellung findet am 6. Juli, um 18 Uhr ein Konzert mit der ukrainischen Harfenistin Zorjana Babyuk statt. Die Verkaufserlöse der Ausstellung gehen an den Potsdamer Verein "Be an Angel", der ukrainische Geflüchtete unterstützt.