Der Krieg in uns – Teil 1

Isra­el ist – wie bereits bei den 25. Tanz­ta­gen im Som­mer – auch der Schwer­punkt vom dies­jäh­ri­gen Uni­dram-Fes­ti­val. Das ver­spricht kei­ne "leich­te Kost". Und so brauch­te man nach der Eröff­nungs­auf­füh­rung von "Salt oft the Earth" am Diens­tag­abend viel Zeit, um wie­der in sei­ne eige­ne Mit­te zu finden.

Am Anfang war das Salz: Blitz­schnell bedeckt es mit einem wei­ßen Berg einen Teil der Büh­ne. Eine Video­ka­me­ra doku­men­tiert sei­ne fas­zi­nie­ren­de Ober­flä­che mit Kra­tern und Hügeln, mal wie eine Wüs­te mal wie eine Mond­land­schaft anmutend.

Dar­in taucht plötz­lich eine Pup­pe ohne Gesicht, nur mit einer abge­ris­se­nen Uni­form beklei­det, auf. Das ist Rafi, der Held von Amos Ken­ans Roman "Der Weg nach En Harod", der 1984 in Isra­el erschien, und mit dem Schre­ckens­sze­na­rio, das er beschreibt, einen Schock aus­lös­te. Ken­ans Roman prä­sen­tiert sich als apo­ka­lyp­ti­sche Rei­se durch die jüdisch-israe­li­sche Geschich­te; aus dem zio­nis­ti­schen Traum ist ein Alp­traum gewor­den. Rafi beginnt sei­ne Irr­fahrt in Tel Aviv – der zio­nis­ti­schen Mus­ter­stadt – und er will nach En Harod, einen legen­dä­ren Kib­buz, der noch nicht von Todes­kom­man­dos besetzt ist.

05 Hazira Performance Art Arena & PuppetCinema Salt of the

Foto: Yair Meyuhas

Der all­ge­gen­wär­ti­gen Gewalt kann man sich auch in der mul­ti­me­dia­len Insze­nie­rung von Hazi­ra Per­for­mance Art Are­na aus Jeru­sa­lem und Pup­pet­Ci­ne­ma aus Tel Aviv kaum ent­zie­hen. Gewalt ist über­all in den thea­tra­len Pup­pen- und Men­schen­dar­stel­lun­gen, in den münd­li­chen Er- zäh­lun­gen, in den Moto­ren- und Schuss­ge­räu­schen, und vor allem in der beklem­men­den Ener­gie, die die­se gen­re­über­grei­fen­de Insze­nie­rung aus Pup­pen­spiel, Film­se­quen­zen und Erzähl­thea­ter vorantreibt.

Diver­se Gewalt­ak­te wer­den auf Hebrä­isch und damit eigent­lich unver­ständ­lich erzählt oder in Minia­tur­sze­nen dar­ge­stellt: wie zwi­schen den ver­las­se­nen Häu­ser­schluch­ten von Tel Aviv oder dem Vil­len­vier­tel, das plötz­lich in der Salz­wüs­te auf­taucht. Auch ohne deut­sche Über­ti­tel wäre ihre zer­stö­re­ri­sche Ener­gie deut­lich spür­bar gewesen.

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Foto: Yair Meyuhas

Gewalt ist in jeder Begeg­nung vor­han­den und erfährt beson­ders kras­se Brü­che im Auf­ein­an­der­tref­fen von Män­nern und Frau­en (und Kin­dern). Und spä­tes­tens an die­sen Stel­len wird in die­ser atem­lo­sen Geschich­te, die sehr anstren­gend zu verfolgen/auszuhalten war, beängs­ti­gend deut­lich: Erzählt wird, dass dieser/jeder äuße­re Krieg auch immer ein Krieg in uns ist. Und wohin Rafi/wir auch flie­hen, vor den psy­chi­schen Fol­gen, die Gewalt hat, kön­nen wir uns nicht verstecken.

"Das Salz der Erde" ist auch der Titel eines Doku­men­tar­fil­mes von 2014 über das Leben und Werk des bra­si­lia­ni­schen Foto­gra­fen Sebas­tião Sal­ga­do. Der an Fol­gen, die er als Zeu­ge von inter­na­tio­na­len Kon­flik­ten, Krieg, Ver­trei- bung, Hun­ger und Leid erleb­te, bei­na­he zer­brach. Sal­ga­do begann zur Hei­lung mit der Wie­der­auf­fors­tung eines Wal­des und wen­de­te sich in sei­nem Foto­pro­jekt "Gene­sis" den weni­gen, von Men­schen unbe­rühr­ten Orten die­ser Erde zu.

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Foto: Yair Meyuhas

Am Ende der ver­stö­rend-aktu­el­len Thea­ter­in­sze­nie­rung aus Isra­el lagen Rafi und der Erzäh­ler auf dem mit Salz bedeck­ten Büh­nen­bo­den. Sie sind "ent­kom­men". Doch (ihr) En Harod exis­tiert nicht (mehr). In die­sem erschüt­tern­den Schluss­bild liegt auch eine Chan­ce: End­lich anzu­kom­men bei sich selbst.

Astrid Priebs-Trö­ger

04. November 2015 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Theater | Schlagwörter: | 2 Kommentare

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