Neue Welten

Manch einer glaub­te wahr­schein­lich, sei­nen Augen nicht zu trau­en, als er das fünf­te Kon­zert der dies­jäh­ri­gen Pots­da­mer Voca­li­se in der Erlö­ser­kir­che besuch­te. Denn da stand im Aller­hei­ligs­ten, direkt unter dem gol­de­nen Ster­nen­him­mel der Apsis ein klo­bi­ges wei­ßes Zelt.

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Foto: Annet­te Paul

Und klar, in die­sen Zei­ten konn­te man die mobi­le Behau­sung wohl nur als Unter­kunft für Geflüch­te­te deu­ten, zumal eini­ge Wäsche­stü­cke auf einer Lei­ne dies nahe­leg­ten. Aber war­um stand die­ses pro­fa­ne Zelt nun im Altar­raum und aus­ge­rech­net unter dem edel­stein­be­set­zen Hei­li­gen Kreuz der Erlösergemeinde?

"Neue Wel­ten" war das Kon­zert mit Wer­ken von Kurt Weill, Astor Piaz­zolla, Dari­us Mil­haud und Aaron Cop­land über­schrie­ben. Und die Pots­da­mer Per­for­mance-Künst­le­rin Annet­te Paul hat­te gemein­sam mit dem künst­le­ri­schen Lei­ter Ud Jof­fe die Idee, asyl­su­chen­de Men­schen ein­zu­la­den, um eine Szen­o­gra­fie zu Mil­hauds "Erschaf­fung der Welt" – Bal­lett­mu­sik zu entwickeln.

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Foto: Annet­te Paul

Ola und Abdul­lah, zwei jun­ge syri­sche Desi­gner, die seit einem Jahr in Pots­dam leben, mach­ten sich mit Annet­te Paul zusam­men ans Werk. Wäh­rend des Kon­zerts pro­ji­zier­ten sie im Rhyth­mus der Musik mit schwar­zen Filz­stif­ten ihre ganz per­sön­li­che Schöp­fungs­ge­schich­te an die Gie­bel­sei­te des Zeltes.

Aus vie­len Sym­bo­len, Krin­geln und Spi­ra­len, die sich immer dich­ter über­ein­an­der lager­ten, ent­stand anfangs nur dunk­les Cha­os. Spä­ter waren majes­tä­ti­sche Ber­ge und kurz dar­auf Bäu­me, die ers­ten Schmet­ter­lin­ge und Vögel zu sehen.

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Foto: Ste­fan Gloede

Und auch Men­schen erschie­nen. Doch nicht – wie im christ­li­chen Mythos – klar nach Geschlech­tern unter­schie­den und erkenn­bar. Son­dern zwei mas­si­ve schwar­ze Köp­fe tra­fen da auf­ein­an­der – vor einer äußerst zer­brech­lich wir­ken­den Welt.

Die­ses Bild hin­ter­ließ neben dem Auf­tritt von Ola und Abdul­lah den stärks­ten Ein­druck der Szen­o­gra­fie und des gesam­ten Abends. Denn wie sie da zusam­men mit Annet­te Paul aus dem Zelt und vor das applau­die­ren­de Publi­kum tra­ten, wur­de auch dem Letz­ten klar, dass sie mit­ten unter uns und wir nur gemein­sam (über-) leben können.

Und so nahm man aus die­sem groß­ar­ti­gen Abend die ein­fa­che und star­ke Hoff­nung mit, dass nach anfäng­li­chem Cha­os Gemein­sam­kei­ten und Unter­schie­de eine span­nen­de Viel­falt für alle ermög­li­chen (kön­nen).

Astrid Priebs-Trö­ger

22. November 2015 von Textur-Buero
Kategorien: Alltagskultur, Theater | Schlagwörter: , | Schreibe einen Kommentar

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