Achtsam sein – mit sich und anderen
Sonntagmorgen um halb zehn sind die Straßen in Potsdams Innenstadt nahezu menschenleer. Doch im FrauRaum in der Gutenbergstraße 12 plappern der fast fünfjährige Giovanni und seine zwei Jahre jüngere Schwester Marta schon munter durcheinander.
Eigentlich sind sie mit ihren Eltern in den hellen, knapp 20 Quadratmeter großen Raum zum Familienyoga mit Julia Daase gekommen. Aber es dauert an diesem knackig kalten Vormittag noch ein Weilchen, bis ein weiterer Vater und seine zwei Töchter eintreffen.
Die Erwachsenen, die selbst Yoga praktizieren, nutzen das Angebot der 32-jährigen studierten Sozialarbeiterin und Kinderyogaübungsleiterin, um auch ihren Sprösslingen, die Grundlagen der indischen Philosophie und Körperlehre spielerisch nahezubringen. Flavia findet es gut, dass ihre Kinder hier tief atmen und sich entspannen lernen. Aber erst einmal toben beide mit dem großen grünen Gymnastikball herum, schießen ihn wild durch die Gegend und legen sich bald auch hinterrücks darauf.
Doch dann stellt Julia Daase eine gelb-rote Tulpe und eine Klangschale in die Mitte des Teppichs und Giovanni und Marta ordnen bereitwillig sechs hellgrüne Yogamatten sternförmig drum herum an. Und Marta zeigt der Lehrerin gleich auch noch ihr neuestes Buch: Kinderyoga auf Italienisch. Denn das ist die Muttersprache der Kleinen und Julia Daase lernt nebenbei, was ‚Berg‘ und ‚Katze‘ auf Italienisch heißen. So wird schon zu Beginn klar, worum es hier eigentlich geht. Kinder lernen von Erwachsenen und umgekehrt.
Auch wenn Kinderyoga inzwischen in Potsdam ein Trend ist, merkt man im FrauRaum, dass es Julia Daase vor allem um das sensible Miteinander geht. Nach dem Warmmachen mit wilden Armschwüngen, gründlichem Schulterkreisen, hoch in den Himmel wachsen und lustigem Po-Wackeln bewegen sich alle zu einem Lied von Julianes "Wilder Bande" durch den Raum. "Gib mir die Hand und tanz‘ mit mir", singt Juliane und Julia Daase nimmt auch die zwei Mädchen, die bislang noch auf der Matte lagen, an die Hand.
Und dann geht die Sonne auf! Und jeder, der die Yoga-Übung "Sonnengruß" kennt, fühlt sich bei dem, was Erwachsene und Kinder jetzt mehrmals hintereinander ausführen sofort daran erinnert. Natürlich geht es nicht darum, den zwei- bis achtjährigen Yogaschülern, die zwölf Asanas technisch perfekt beizubringen. Die Kinder sollen jedoch im Laufe der Zeit lernen, ihren Bewegungen nach- und in sie hinein zu spüren, sagt Julia Daase. Immer wieder legen alle auch die Hände auf ihre Bäuche und atmen da tief hinein. "Mein Bauch ist wie ein Luftballon", ruft Lena kurz darauf erfreut.
Dieses kinder- und erwachsenenfreundliche Bewegungskonzept passt auch gut in den FrauRaum, der vom Potsdamer Verein "Frauenaspekte" seit drei Jahren in der Potsdamer Innenstadt betrieben wird. Hier finden sowohl Seminare, Workshops und Infoveranstaltungen zu frauenspezifischen Themen – wie Natürliche Geburt und Stillen – als auch rund um Familien statt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem achtsamen Umgang mit sich selbst und anderen, wie Bettina Saar, eine der Vorstandsfrauen sagt.
Astrid Priebs-Tröger
Dieser Artikel erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 30. Januar 2017