Stadtmitte für Alle?!
Am Wochenende waren bei Kaiserwetter jede Menge Menschen in Potsdams Stadtmitte unterwegs. Die einen pilgerten zum Barberini, die anderen zum Streetfoodfestival und etwa 250 Jüngere zum Sit-In rund um den Obelisken auf dem Alten Markt.
"Wat issn das hier?" fragten immer wieder Zaungäste, die mit dem relaxten Treiben – man saß in einem improvisierten Wohnzimmer, aß, trank, spielte, unterhielt sich – nicht wirklich etwas anfangen konnten.
Worum es ging, wurde deutlich als Christian Näthe, Sänger und Gitarrist der Band "Hasenscheisse", den Song "Aux Champs-Elysées" anstimmte und erzählte, wie er auf selbiger Pariser Prachtstraße von Polizisten zur Rechenschaft gezogen wurde, als er (s)einen Ölfleck beseitigen wollte.
Schaffung kommerzialisierter Räume
Diese kurze Episode zeigt, was sich auch in Potsdams Mitte immer mehr durchsetzt. Es werden Räume definiert und geschaffen, die vorrangig Repräsentationszwecken dienen und stark reglementiert und/oder kommerzialisiert werden. Und Menschen, die den Eintritt dafür nicht bezahlen können, bleiben automatisch außen vor.
Das Bündnis "Stadtmitte für Alle" ist ein neuer Zusammenschluss von Potsdamer Initiativen und Vereinen, Gruppen und Einzelpersonen, das die öffentliche Mitsprache bei der weiteren Entwicklung der Potsdamer Mitte fordert und praktiziert. Bereits 2016 wurden u. a. das Bürgerbegehren gegen den Abriss der Fachhochschule, des Staudenhof-Wohnblocks und des Mercure-Hotels auf den Weg gebracht und 15.000 Unterschriften gesammelt.
Eine wichtige Forderung – neben der, die DDR-Baugeschichte nicht vollständig aus dem Stadtbild zu entfernen – ist auch die nach öffentlich nutzbaren Räumen wie in der Fachhochschule oder dem Staudenhof. Potsdams Stadtobere beabsichtigen jedoch, diese städtischen Grundstücke an Privatanbieter zu verkaufen, damit diese dort vorwiegend hochwertige und –preisige Wohn- und Geschäftshäuser bauen.
Gegen Gentrifizierung an- und für den Erhalt öffentlicher Räume kämpfen
Gerade Künstler*innen, Intellektuelle und auch Die Linke laufen gegen diese fortschreitende Gentrifizierung Sturm. Mit kreativen Aktionen wie der der Kuratorengruppe Neudeuter im vergangenen Sommer oder jetzt dem improvisierten Wohnzimmer versuchen sie, die gesamte Stadtbevölkerung dafür zu sensibilisieren, wie immer mehr öffentliche Räume privatisiert werden.
Doch Potsdam ist eine geteilte Stadt. Der Großteil der fast 200.000 Bewohner*innen lebt in den zu DDR-Zeiten errichteten Neubaugebieten. Und ausreichender sozialer Wohnungsbau ist nach dem Mauerfall in der Stadt vernachlässigt worden. Viele der zahlreichen jüngeren und älteren Zuzügler*innen befeuern inzwischen den Wettbewerb auf dem freien Wohnungsmarkt, der über die ganze Stadt verteilt, boomt. Beide Gruppen sind (auch) an einer repräsentativen Stadtmitte interessiert bzw. wenden sich nicht öffentlich dagegen.
Den Dialog mit der schweigenden Mehrheit suchen
Die Künstler*innen und andere Kreativschaffende, die mehr und vor allem (preiswerte) Freiräume brauchen, stehen so auf relativ verlorenem Posten, insbesondere, was die Stadtmitte angeht. Wichtig wäre, dass sie stärker als bisher dahin gehen, wo der Großteil der Potsdamer*innen zuhause ist. Um in einen wirklichen Dialog zu treten und der zunehmenden Segregation entgegenzuwirken. Auf jeden Fall sollten sie sich weiter einmischen und die Mitte mit fantasievollen Aktionen jenseits der Mainstreamkultur zu wirklichem und vielfältigem Leben erwecken.
Text + Fotos: Astrid Priebs-Tröger
Das nächste Sit-In "Platz nehmen!" findet am 2. April von 11 bis 15 Uhr auf dem Alten Markt statt.