Brücken bauen
Eine Person mit einer Balancierstange setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Ein Drittel des Weges hat sie schon hinter sich, was vor ihr liegt, kann sie nur erahnen. Und: dahin muss sie erst kommen. So wie diese Figur könnten sich Menschen fühlen, die nach Deutschland geflüchtet sind.
Deshalb ist genauso eine Figur unter dem hellblauen Schriftzug "Brücken bauen", der sich auf den schwarzen T‑Shirts befindet, die die Teilnehmer*nnen des gleichnamigen Theaterkurses bei ihren Proben im Stadtteilzentrum Oskar tragen, abgebildet.
Möglichkeiten für Begegnungen schaffen
Seit März 2017 proben die Potsdamer Theaterpädagogin Sabine Mohr und der Schauspieler Steffen Findeisen einmal wöchentlich vorwiegend mit syrischen und deutschen Frauen und versuchen mittels Theater, Brücken zwischen den Menschen und ihren Kulturen zu bauen.
Mohr sagt, dass sie aufgrund ihres persönlichen interkulturellen Hintergrundes, immer Möglichkeiten für Begegnungen schaffen will und Theaterspielen ein gutes Medium dafür sei, Menschen zusammen zu bringen, die sonst im Alltag nie zusammen kommen würden.
"Das Theater bietet dabei einen (ersten) Redeanlass", meint auch die 35-jährige Sandra, die mit Mohr schon im Theater Schatulle zusammengearbeitet hat und sich jetzt darauf freut, die syrische Kultur näher kennenzulernen. Neben dem Theaterspielen haben die Frauen auch schon mehrmals zusammen gekocht und einen WhatsApp–Chat ins Leben gerufen, mit dem sie sich nicht nur über Probentermine verständigen.
Nicht nur verbal, sondern körperlich erzählen
In dieser Wochenendprobe zeigen sie eine erste Szene: Die Frauen kommen nacheinander mit Taschen und Rucksäcken auf die Bühne. Eine junge beschwingt, eine andere beschwert von den Strapazen einer langen Reise. Bei der Probe wird dies nicht verbal sondern körperlich erzählt. Und in die Körper der jungen und älteren Frauen ist vieles eingeschrieben: gelebtes Leben, Erschöpfung und Anspannung, Lust und Hoffnung.
Manch eine brennt auf dieses neue Leben, eine andere sucht Ruhe nach den Entbehrungen und vor den Erinnerungen. An diesem Nachmittag sind die Frauen sehr präsent. Steffen Findeisen bereitet sie mit Entspannungs- und Vertrauensübungen darauf vor. Die, die da sind, lassen sich bereitwillig darauf ein, gemeinsam einen Kreistanz zu tanzen und dabei auf Arabisch bis sechs zu zählen. "Die Deutschen sollen schließlich auch etwas lernen", sagt Findeisen lachend.
Theater macht (auch) Arbeit
"Leider gibt es keine Männer mehr in der Gruppe", bedauert Sabine Mohr. Die drei jungen Syrer, die lange mitmachten, haben jetzt Wichtigeres vor. Einer hat ein Praktikum, ein anderer eine Ausbildung angefangen und kaum noch Zeit fürs Theaterspielen. Und: Theater macht auch Arbeit – das hatten einige in dieser Intensität nicht erwartet.
Für die Theaterpädagogen ist es nicht immer leicht, auszuhalten, dass im Laufe des halbjährigen Probenprozesses Teilnehmer*innen, die schon fest eingebunden waren, wieder verloren gehen oder das eigene Verständnis von Disziplin und Verlässlichkeit nicht teilen. Doch wenn sie sich in deren Lebenssituation hineinversetzen, nötigt es Beiden Respekt ab, dass sie überhaupt beim Theaterspielen mitmach(t)en.
Die beiden älteren syrischen Frauen sind vor allem da, um die Sprache zu lernen und Kontakt zu Deutschen aufzubauen. Erfahrungen mit Theaterspielen haben beide nicht, da es in ihrer Heimat selten vorkommt, dass Laien sich zu Gruppen zusammenfinden und gemeinsam an Aufführungen arbeiten. Shanaz, die noch wenig Deutsch spricht, ist hingegen als Tänzerin sehr präsent und hat sichtlich Spaß daran, sich auf einer Bühne zu präsentieren. Sie wird dabei vom Musiker Christian Uebel unterstützt, der auch die Probenarbeit filmisch aufgezeichnet. Er sagt, dass es in der Szenenfolge, die Ende November zur Premiere kommt, um Reisen und Unterwegssein gehen wird; Flucht sei nur ein Aspekt davon.
Gemeinsam sind wir stark!
Auch wenn der Premierentermin einigen Druck aufbaut, und Sabine Mohr über Sinnkrisen spricht, sagt sie deutlich, dass ein Austausch auf vielen Ebenen stattfindet, den sie nicht mehr missen möchte. "Gemeinsam sind wir stark", so Mohr. Und es ist zu spüren, dass die, die mitmachen, sich auch über das Theater hinaus einiges zu sagen haben.
Text und Fotos: Astrid Priebs-Tröger