Charmant und zauberhaft
Vor fast fünfzig Jahren entstand in Frankreich eine neue Form des Zirkus – Nouveau Cirque genannt – die seitdem mit ihrer Verschmelzung theatralischer und akrobatischer Elemente den Siegeszug um die Welt antritt. Jetzt war die französische Circus-Truppe "Le CollectiHiHiHif" aus Montpellier im T‑Werk zu Gast.
Hier begaben sich ein extravaganter Weißclown und ein dummer August in "Alpheus Bellulus", das zum ersten Mal in Deutschland zu sehen war, auf eine wundersam nostalgische und gleichzeitig moderne Reise. Doch bevor diese startete, betrat ein Mann durch die Seitentür, mit einer altmodischen Laterne in der Hand, die dunkle (Vorder-)Bühne.
Auf der sich danach wie von Geisterhand ein elektrischer Spielzeugeisenbahnzug in Bewegung setzte. Seine drei Wagen fuhren menschenleer im Kreis durch die stürmisch kalte Winternacht. Bis ein großer und ein kleiner Mensch mit vielen Koffern – als Schattenbild auf der Hinterbühne – in ihn einstiegen. Und nach viel zu viel Lärm und Geschüttel auf freiem Feld wieder ausstiegen, um dort gemeinsam die Nacht zu verbringen.
Wundersame Reise: Nostalgisch und modern
Der baumlange Kerl (Philipp Vöhringer) und die kleine Frau (Emilie Marin-Thibault) sind ein bestens eingespieltes Team, das sich in immer skurriler werdenden Wendungen gegenseitig das Leben manchmal schwer- und manchmal leichtmacht. Köstlich, wie sie nach einer angstvollen Vollmondnacht morgens längsverknäult wieder erwachen oder aus allen nur möglichen und unmöglichen Öffnungen Schneeflocken herausschütteln.
Nachdem sie die Dunkelheit und Kälte hinter sich gelassen haben, erwecken sie aus ihren fünf altmodischen Koffern eine schillernde Wanderzirkus-Arena zum Leben. Mit viel Liebe zum (technischen) Detail und jeder Menge verspielter Poesie. Und ihr kleines Theateruniversum, das sich jetzt entwickelt, besticht nicht nur durch immense Körperbeherrschung der beiden und viele originelle Ideen, sondern auch durch die Verbindung von clownischer Tradition und moderner Kunst. So, als sie mithilfe digitaler Projektionen eine wilde Schneeballschlacht veranstalten oder hüpfende Knöpfe an das Gewand des sich seriös gebenden Weißclowns zaubern.
Verbindung von Clownstraditionen und digataler Kunst
Und sie schaffen es auch mühelos, gemeinsam mit dem begeisterten Publikum einen vielstimmigen Chor aus Gewiehere und Gemeckere, Miniatur-Klavierbegleitung und Walzertakten zu entfachen. Selber schuld, wer sich von dieser bezaubernden Volkstheateratmosphäre nicht anstecken ließ. Zudem es dabei auch noch wunderbar nach Popcorn roch, das der Dritte im Bunde, Marvin Basileu als Techniker mit Rastalocken und Dienstmann-Uniform, live röstete. Die junge Circus-Truppe ist seit 2012 in Montpellier ansässig und schafft es mühelos, Jung und Alt ganz ohne Worte, in eine faszinierende Welt voller Situationskomik zu entführen. Charmant und zauberhaft!
Astrid Priebs-Tröger