Lieber Tanz …
Was ist machbar? Trotz Pandemie und Hygieneauflagen? Das haben sich die Organisatoren der diesjährigen Potsdamer Tanztage in den vergangenen Wochen immer wieder gefragt. Denn auf keinen Fall wollten sie nach der Absage des 30. Jubiläumsfestivals im April untätig bis zum nächsten Jahr warten.
So entstand in den drei Monaten Kurzarbeit in der fabrik und sich ständig ändernden Bedingungen im Umfeld ein knapp zweiwöchiges Festival, das am 5. August in unter dem Motto "Weiter tanzen" in der Schiffbauergasse startet. Und das anders als seine große Schwester in Berlin – "Tanz im August"- das 2020 hauptsächlich online stattfindet, in Potsdam auch in direkten Kontakt mit seinem Publikum tritt.
Sie hätten gefühlt "fünf Festivals programmiert", sagen Johanna Simon, die in der fabrik für den Tanz für junges Publikum und das Workshop-Programm der Tanztage zuständig ist, und der Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit Laurent Dubost im Gespräch. Und immer ging es darum, den Tänzern und dem Publikum optimale Bedingungen trotz beziehungsweise mit Corona zu ermöglichen.
Und so zeichnet sich das kommende Interimsfestival vor allem durch ungewöhnliche Formate, einen hohen Anteil von Open-Air-Aufführungen und ein erweitertes Filmprogramm in Kooperation mit dem Waschhaus aus. Tänzer und Performance-Künstler aus Frankreich, Spanien, Irland, Großbritannien, Belgien, Kanada und Deutschland werden zu Gast sein. Und die Hälfte der insgesamt 12 unterschiedlichen Aufführungen werden Deutschlandpremieren sein.
Auch die israelische Choreografin Yasmeen Godder, die in den vergangenen Jahren mit ihren hochpolitischen und zugleich sehr intimen Arbeiten das Potsdamer Publikum begeisterte, wird zwar nicht selbst in Potsdam aber trotzdem dabei sein. Man kann mit ihrer Anleitung einen eigenen Ganzkörperabdruck herstellen. Die Idee zu ihrer Arbeit "I' am here" entstand am Anfang des Corona-Lockdowns in Tel Aviv, als auch dort die Körper fast vollständig aus der Öffentlichkeit verschwanden.
Stürzen und Fallen wird hingegen Yoann Bourgeois auf seinem "Trampoline", das auf dem Parkplatz vor der fabrik aufgebaut und auf dem der französische Tänzer, Akrobat und Choreograf einen sinnbildlichen und poetischen Balanceakt des Lebens zur Musik von Philip Glass vollführen wird. Diese achtminütige Solo-Aufführung wird das Festival eröffnen und an drei Tagen insgesamt 12 Mal gezeigt, um möglichst vielen Menschen – bei freiem Eintritt – ihren Genuss zu ermöglichen.
In der fabrik, dem T‑Werk und der Waschhaus-Arena kommen hingegen die abendfüllenden Produktionen "La Desnudez" (Die Nacktheit) von Daniel Abreu und die nacheinander aufgeführten humorvollen Soloperformances "Rewriting" von Burrows & Fargion oder "The Goldberg Varitions" von Michiel Vandevelde zur Aufführung.
Letzteres wird ein besonderes Highlight und die größte Aufführung dieser Tanztage, mit drei Tänzern und einem Livemusiker auf der Bühne, sein. Vandeveldes vielschichtiges Stück über Tanzgeschichte wird einen Bogen spannen zwischen – vergangenen gesellschaftlichen – Krisen und Kreativität. Es verbindet die Reflexion über Tanz heute mit der über den Zustand der gegenwärtigen Demokratie und fragt danach, ob und wie Kunst Gesellschaft verändern kann.
Unter Pandemiebedingungen stehen Tanz-Solos oder Duette im Vordergrund des diesjährigen Programms. Und auch Vorsichtsmaßnahmen wie häufiges Lüften der Säle, getrennte Ein- und Ausgänge, öffentliche Desinfektionsspender und freibleibende Plätze und Reihen tragen zur Sicherheit der Besucher bei. Im jeweiligen Eingangsbereich besteht Maskenpflicht. Nach der Platzierung durch das fabrik-Personal können diese wieder abgelegt werden.
Neu sind 2020 auch mehrere Aufführungsorte in Potsdam, wie der Innenhof des Landtagsschlosses, in dem Daniel Abreu aus Madrid – ebenfalls umsonst und draußen – auftreten wird oder die Explore Dance-Aufführung für Kinder ab acht im Bürgerhaus am Schlaatz sowie eine geheimnisvolle choreografische Wanderung mit Sabine Zahn durch den Potsdamer Stadtraum.
Und nicht zuletzt ein Workshop-Format, das die Berliner Künstlerzwillinge Deufert&Plischke mit "Lieber Tanz – Briefe an den Tanz" betitelt haben. Es stand im Mai am Beginn der Arbeit am neuen Festivalprogramm. Und die fabrik-Mitarbeiter begegneten sich nach dem strengen Lockdown darin unter den veränderten Bedingungen erstmals wieder.
Sie waren aufgefordert, über die Bedeutung von Tanz bei sich selbst und damit darüber hinaus über die sogenannte "Systemrelevanz" desselben zu reflektieren. Jetzt ist dieses Format für alle, die dabei mitmachen und einen persönlichen Brief an den, ihren Tanz schreiben wollen, (auch) als Einstieg in die Jubiläumsfeierlichkeiten im kommenden Frühjahr 2021 gedacht.
Astrid Priebs-Tröger
Das Programm der Potsdamer Tanztage (inklusive Workshop-Programm) finden Sie unter https://fabrikpotsdam.de/format/23 Der Kartenvorverkauf dafür hat bereits begonnen.
Dieser Text erschien zuerst in den Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 18. Juli.