Wenn die Narren regieren …
Mit dem Zeitalter der Aufklärung und der beginnenden Industrialisierung ist der Harlekin nach und nach von den Theaterbühnen verschwunden. Die italienischen Performer Ginerva Panzetti und Enrico Ticconi haben ihn bei den Potsdamer Tanztagen jetzt wieder aus der Versenkung geholt.
Anfangs nur als Schattenriss auf dem weißen Bühnenhintergrund, aber im Laufe ihrer stilistisch überaus originellen Inszenierung mit vielen der widersprüchlichen Facetten, die ihn einst ausmachten: mit Lachen und Weinen, List und Tücke, Genügsamkeit und Verfressenheit. Und nicht zuletzt als subversiven Geist, der allen anderen den Spiegel vorhält.
Statt in kunterbunte Lumpen sind die beiden hochgewachsenen Performer in hautenges Schwarz gekleidet und nur ein gelbes Rhomben-Muster, das sich seitlich die Hosennähte herunter zieht, zitiert die frühere Kostümierung. Harlekins Gefährtin Columbina ist durch ihre beiden Haarknoten ebenfalls sogleich erkennbar.
Zu Beginn schütten sich beide aus vor Lachen. Mit zuckenden Körpern und verzerrten Gesichtern. Lautlos. Zu einer Stakkato artigen Tonspur, die Klacken und Pulsieren wiedergibt, und so etwas wie einen "wilden" inneren Strom nachempfindet. Doch keiner lacht mit. Denn man weiß (noch) nicht, zu welchem Spiel man hier gebeten ist.
Mit ihrer überaus präzisen Körperarbeit stellen Ginerva Panzetti und Enrico Ticconi die äußeren Narren-Charakteristika wie die schwarze Augenmaske, die sie mit gerundeten Daumen und Zeigefingern formen oder die Hörner, die den animalisch-subversiven Charakter des Narren betonen, her. Nach und nach meint man zu wissen, mit wem man es hier zu tun hat.
Doch dann ändert sich die Szenerie. Aus den bizarr übermütigen, fast comicartigen Figuren werden, als sich die Tonspur in stampfend-gleichförmige Maschinenklänge wandelt, zumindest äußerlich diszipliniertere Wesen. Vor allem hoch und runter gehen ihre jetzt fast synchronen Bewegungen und nur die Arme mit den sehr beweglichen Handgelenken widersetzen sich scheinbar noch dem monotonen Takt.
Schließlich wirken beide wie an Fäden hängende Marionetten, und auch ihre Zungen hängen ab und zu schlapp/entnervt heraus. Doch ab und an blitzen noch die ursprünglichen, stark polarisierenden Emotionalitäten hervor.
Und auf einmal, man bemerkt es in der skurrilen Bilderfolge kaum, entsteht ihr "Ich bin da" – beide recken ihren rechten Arm, anfangs wie zum römischen Gruß, den später die Faschisten übernahmen, dann zu Mr. Spocks vulkanischem Gruß, wo die Finger zwischen Ring- und Mittelfinger zum V gespreizt werden, und schließlich zur geballten Faust der Freiheitskämpfer, die von den Spanischen Brigaden popularisiert wurde.
Was für eine groteske Sequenz in nur einem Moment, die ein Jahrhundert voller Krisen und Brüche schlaglichtartig zusammenfasst. Und man fragt sich, welches Zeitalter jetzt wohl anbricht, wenn, wie in der Inszenierung, ein leuchtender Rhombus, der auch Raute genannt wird, an der Bühnenrückwand erscheint und nicht die bekannten Harlekin und Columbina, sondern die wirklichen Narren endgültig das Zepter übernehmen.
Astrid Priebs-Tröger