Die Spielregeln des Systems
Es ist erschreckend, wie wenig man sich selbst mit der Frage "Wie entsteht Geld?" beschäftigt. Die Regisseurin Carmen Losmann hat dies in ihrem neuen Dokumentarfilm "Oeconomia" getan und damit gehörig an den Grundfesten des gegenwärtigen Wirtschaftssystems gerüttelt.
Losmann stellte bei ihren Recherchen bei Zentral- und Privatbanken sowie Versicherern sehr schnell fest, dass man sich dort nicht so ohne weiteres in die Karten gucken lassen will. Direkte Drehs vor Ort waren kaum möglich, zugesagte Interviewtermine wurden immer wieder abgesagt oder auf ein Viertel der Zeit zusammengestrichen – und das Tabu "über Geld spricht man nicht" kommt fortlaufend zum Tragen.
Und die Transparenz, die zumindest architektonisch – gigantische gläserne und verspiegelte Bürotürme – behauptet wird, entpuppt sich im Film rasch als deren blankes Gegenteil: Diskretion, Stillschweigen und Geheimhaltung sind an der Tagesordnung. Und es ist nur ein Verdienst von "Oeconomia", dies direkt im Kino vorzuführen.
Wenn einigen Managern vor laufender Kamera die Gesichtszüge entgleiten, sie auf einfache Fragen keine Antworten geben können oder wollen und die internen Spielregeln (v)erklärt sowie die Krisen des kapitalistischen Systems weggelächelt werden, dann merkt jede*r, dass etwas faul ist Staate …
Zwischen den glitzernden Bankentürmen, unten auf der Straße hat Carmen Losmann zusätzlich fünf Menschen, unter ihnen Physiker, Informatiker und Volkswirtschaftler um einen Spieltisch versammelt. Sie spielen dort eine vereinfachte "Monopoly"-Variante (mit festgelegter Geldmenge) und kommentieren aus ihrer Sicht die Antworten, die die Bankmanager – nicht eine einzige Frau ist unter ihnen – der Regisseurin geben.
Und die Wirtschaftspublizistin Samirah Kenawi, die mit am Tisch sitzt, erzählt von der "Bankrotterklärung" ihres früheren Universitätsprofessors. Auf ihre Feststellung, dass die Grundannahme der gelehrten Gleichgewichtsmodelle nicht stimme, hat dieser geantwortet: "Ja, Sie haben recht, aber ich interessiere mich nicht für die Wirklichkeit."
Diese Arroganz (der Macht) ist in vielen Gesprächen, die Losmann führt, ebenfalls zu spüren und auch, wenn man selbst wenig Ahnung von der komplexen Materie hat, begreift man, dass das Verhältnis von Bargeld zu Buchgeld (digital geschöpft), das (gegenwärtig) 10 zu 90 Prozent beträgt, mehr als "ungesund" ist. Und das ständiges Wirtschaftswachstum nur mit exponentiell ansteigender Verschuldung zu haben ist, ebenfalls.
Kein Wunder, dass spätestens seit der Finanzkrise 2008 dieses, unser System am Kollabieren ist. Die Frage, die auch Losmann stellt, ist, wer eher zusammenbricht: der Kapitalismus (in seiner gegenwärtigen Form?) oder die menschliche Zivilisation auf dieser einen, endlichen Erde.
"Oeconomia" seziert eindrucksvoll und bedrückend die Geldfrage als Systemfrage. Und entlarvt den gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Kurs als "toxisches Kettenbriefsystem", dem nicht nur permanente Naturzerstörung sondern auch fortschreitender Demokratieabbau inne wohnen. Über Vorschläge zur ökologischen und gesellschaftlichen Transformation kann man sich auf der Webseite http://oeconomia-film.de/ informieren.
Astrid Priebs-Tröger