Lasst uns wütend(er) sein!

Im Herbst 2019 war ich auf der größ­ten Fri­days for Future-Demons­tra­ti­on, die Pots­dam bis dahin erlebt hat­te. Mit über 4.000 ande­ren Men­schen – auch mei­ne bei­den Enkel­töch­ter waren dabei – zogen wir durch die Landeshauptstadt.

Damals hoff­te ich, dass FFF kli­ma­po­li­tisch end­lich etwas zum Posi­ti­ven bewe­gen wür­de. Ein Jahr spä­ter ste­cken wir in der Coro­na-Kri­se fest, FFF ist seit März 2020 nahe­zu voll­stän­dig von den Stra­ßen ver­schwun­den und im Ers­ten Deut­schen Fern­se­hen lau­fen gera­de zwei groß­ar­ti­ge Doku­men­ta­tio­nen über die jun­gen Akteur* innen von Fri­days for Future.

"Ich bin Gre­ta" von Nathan Gross­man por­trä­tiert Gre­ta Thun­berg und zeigt ihre Beweg­grün­de, sich für Kli­ma­ge­rech­tig­keit zu enga­gie­ren. Als Puber­tie­ren­de ließ sie sich von einem Kli­ma-Kata­stro­phen-Film und Berich­ten von Wissen-schaftler*innen der­ar­tig inten­siv berüh­ren, dass sie krank davon wur­de und zwei Jah­re spä­ter beschloss, ihr Leben grund­le­gend zu ändern und auch selbst poli­tisch aktiv zu werden.

Die schmäch­ti­ge Jugend­li­che setz­te sich jeden Frei­tag mit ihrem inzwi­schen berühm­ten Schild vor das schwe­di­sche Par­la­ment. Und war­te­te dar­auf, dass Pas­sant* innen ihre Flug­blät­ter mit Fak­ten zur Kli­ma­kri­se lesen und mit ihr dis­ku­tie­ren. Gre­ta hoff­te, dass es ihr gelin­gen wür­de, auch noch ande­re Erwach­se­ne als ihre Eltern zum Umden­ken zu bewegen.

Was dann in rela­tiv kur­zer Zeit geschah, über­traf ihre kühns­ten Erwar­tun­gen. ABER: Nicht die Erwach­se­nen ergrif­fen die Gele­gen­heit zum Han­deln, son­dern Mil­lio­nen Kin­der und Jugend­li­che in der gan­zen Welt gin­gen mit Gre­ta gemein­sam jeden Frei­tag auf die Stra­ßen. Wie aus dem Nichts ent­stand eine glo­ba­le sozia­le Bewe­gung, die sich laut­stark und krea­tiv Gehör ver­schaff­te. Die Gre­ta-Doku­men­ta­ti­on zeigt unter ande­rem, wie über­rascht Gre­ta Thun­berg war, zur Kli­ma­kon­fe­renz nach Katow­ice Ende 2018 ein­ge­la­den zu wer­den und wie sie dort zum ers­ten Mal sprach.

Von nun an ver­brei­te­te sich ihre Bot­schaft medi­al wie ein Lauf­feu­er und die Doku­men­ta­ti­on zeigt, wie aus einer zurück­hal­ten­den Neunt­kläss­le­rin eine wüten­de Kli­ma­ak­ti­vis­tin wur­de. Und sie zeigt auch, genau­so wie die zwei­te Doku­men­ta­ti­on "Auf­schrei der Jugend" von Kath­rin Pit­ter­ling, die die deut­schen Akteur* innen hin­ter FFF por­trä­tiert, das hin­ter der Bewe­gung über­aus enga­gier­te aber auch sehr ver­letz­li­che Kin­der und Jugend­li­che ste­hen, die gehofft hat­ten, dass die Erwach­se­nen end­lich Ver­ant­wor­tung für die Zukunft der Mensch­heit über­neh­men und ent­spre­chend han­deln würden.

Doch hier wie da auch zwei Jah­re spä­ter Fehl­an­zei­ge. Ganz beson­ders uner­träg­lich in "Ich bin Gre­ta" ist z. B. die Igno­ranz, mit wel­cher der ehe­ma­li­ge Prä­si­dent der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on Jean-Clau­de Jun­cker der jun­gen Schwe­din begeg­net. Der alte wei­ße Mann, mit einem Pflas­ter im Gesicht, applau­diert nach Gre­tas Rede und geht anschlie­ßend mit kei­ner Sil­be dar­auf ein. Statt­des­sen spricht er über die Gleich­schal­tung euro­päi­scher Toi­let­ten­spül­sys­te­me. Und man kann sehen, wie Gre­ta frus­triert ihren Kopf­hö­rer abnimmt.

In "Auf­schrei der Jugend" sehen wir eine ähn­li­che Sze­ne, als Lui­sa Neu­bau­er beim Tref­fen mit Olaf Scholz die Ein­hal­tung des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens ein­for­dert. Wie ein Auto­mat käut die­ser in die Kame­ra ein paar grü­ne Rede­wen­dun­gen wider.  Bei­de Fil­me haben mich sehr berührt. Zum einen, weil mir bewusst wur­de, wie stark und gleich­zei­tig fra­gil die­se jun­gen Men­schen sind. Und zum ande­ren, wie wenig wir Erwach­se­nen uns von ihrer Empa­thie und ihrem Enga­ge­ment berüh­ren ließen.

Wie wenig Druck wir (über den ihren hin­aus) auf die Regie­ren­den aus­ge­übt haben und wie vie­le Erwach­se­ne sich jetzt in der Coro­na-Kri­se bei­spiels­wei­se für die dubio­sen "Quer­den­ker"- Demons­tra­tio­nen mobi­li­sie­ren las­sen. Und an den fal­schen Sym­pto­men ihren ange­stau­ten poli­ti­schen Frust abreagieren.

Lasst uns wütend(er) – im Sin­ne von betrof­fen, empört und offen­siv – sein und end­lich dar­an arbei­ten, dass wir als mensch­li­che Spe­zi­es gemein­sam mit allen ande­ren Lebe­we­sen eine Zukunft auf die­sem wun­der­ba­ren Pla­ne­ten haben.

Astrid Priebs-Trö­ger

Bei­de Doku­men­ta­tio­nen sind aktu­ell in der ARD-Media­thek zu sehen.

16. November 2020 von Textur-Buero
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