Kopfkino an!
Mit dichtem Gedränge in der Reithalle, der fabrik und dem Kesselhaus ging der letzte Abend des 30. Unidram-Jubiläumsfestivals (für mich) zu Ende. Und ich konnte dabei Gruppen aus Finnland, Kanada und Belgien erleben, deren künstlerische Handschriften nicht unterschiedlicher hätten sein können.
Bei der finnischen Company Portmanteau fühlte ich mich mit ihrer multimedialen Performance "Perto" an die Anfangszeiten der bewegten Filmbilder erinnert. Denn die coolen finnischen Zirkusleute zeigten immer wieder slapstickhafte Video-Szenen – wie Paare am Tisch, die sich stritten – die in der Reithalle für die Zuschauer*innen parallel zu sehen waren. Einmal in echt, in der Realität auf der Bühne und gleichzeitig virtuell auf einer von zwei riesigen Leinwänden.
In echt sah man, dass das sich streitende Paar einander abgewandt an zwei verschiedenen Tischen saß. In der virtuellen Realität, die mithilfe mehrerer Videokameras eingefangen und "bearbeitet" wurde, sah es so aus, als säßen sie einander gegenüber und stritten heftig von Angesicht zu Angesicht.
In "Perto" – was auf Portugiesisch nah bedeutet – geschieht das mit viel Humor und die inzwischen allgegenwärtige Bild-Manipulation wird dabei sicht- und nachvollziehbar.
Manipuliert wurden auch die unzähligen Wassertropfen, die der kanadische Performancekünstler Martin Messier in der fabrik aus einem Schlauchsystem von der Decke tropfen ließ. Wer in "1 drop 1000 years" erwartete, der natürlichen Schönheit, dem Fließen und Rauschen des Lebenselementes Nr. 1 zu begegnen, wurde sehr schnell enttäuscht. Denn Messier produziert Installationen, in denen Robotik, Licht, Ton und Video miteinander kombiniert werden.
Und so fühlte sich diese effektvolle Wasserchoreografie über lange Strecken technisch, irgendwann einförmig, ja sogar gewalttätig an, als die unzähligen Tropfen wie eine Armee in Reih und Glied zu Technoklängen perfekt beleuchtet zu Boden fielen. Und Wasser, das ich maßgeblich mit "Beruhigung" und organischem "Fließen" assoziiere, entwickelte in dieser lautstarken Installation einen beunruhigenden, ja verstörenden, ausgesprochen männlich-harten Strom.
Dass männliche Energie auch ganz anders rüberkommen kann, war in der letzten Vorstellung des belgischen Tof Théâtre von Alain Moreau zu erleben. Der alte Jean – als lebensgroße Puppe gespielt von Moreau und deutlich zu erkennen als sein viel älteres Alter Ego – sitzt abends allein zuhause. Er hat niemanden mehr, mit dem er reden kann und ist froh, im Kesselhaus endlich mal ein Publikum zu finden.
Dem er mithilfe von kleinen Miniaturlandschaften, mit Autos, Tieren, Geräuschen und Musikschnipseln aus seinen wilden Jugendjahren im "Summer ‘69" erzählen kann. Seine mit viel Liebe zum Detail und zur Übertreibung erzählte erotische Liebesgeschichte lässt nicht nur beim alten Jean sondern auch im Publikum selbst ein wunderbares Kopfkino entstehen. Dessen Fazit: Glücklich ist, wer gute (Liebes-) Erinnerungen hat(te) und diese (nicht nur) im Alter immer wieder abrufen kann.
Also, Kopfkino an! Und bei jeder passenden Gelegenheit, in den eigenen Erinnerungen schwelgen, weil dies einen selbst und auch die Erinnerungen lebendig hält. Wenn dies keine großartige Botschaft ist, mit der man das 30. Unidramfestival (mental) gestärkt loslassen und das nächste im (hoffentlich) folgenden Jahrzehnt begrüßen kann!
Astrid Priebs-Tröger