JETZT!
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen – diese Erkenntnis des Heraklit stellte sich ganz unwillkürlich ein, wenn man bei Made in Potsdam die Doppelaufführung von "Relationshifts" von Ceren Oran & Moving Borders aus München gesehen hat.
Jin Lee und Jaroslav Ondruš sind darin ein (Tanz-)Paar, das sich gerade kennenlernt. In Loop 1, der genau wie der der zweite eine Stunde dauert, sitzt SIE zuerst in diesem transparenten 16 cbm großen Würfel und ER braucht eine Weile, bis er sich ihr annähert.
Doch dann sitzen sie sich vis-á-vis gegenüber, kommen ins Lächeln und schließlich ins Reden. Eine Beziehung beginnt, die über sehr achtsame Kontaktimprovisationen in einen gemeinsamen energetischen Fluss, und darüber auch ins Laufen kommt.
Vertrautheit entsteht, daraus wieder Autonomie, schließlich ein Kräftemessen und auch Kampf. Ermattung folgt und ein Neubeginn, der sehr intim und vertraut wird und der zeigt, dass es möglich ist, gleichzeitig zu tragen und getragen zu werden. Das sind wunderbar berührende Momente in diesem ersten Annäherungs- beziehungsweise Beziehungsversuch.
Schließlich folgt nach der großen beiderseitigen Öffnung zuerst bei ihr (und im zweiten Durchlauf bei ihm) ein einseitiger Rückzug und daraufhin beiderseitige Traurigkeit, Enttäuschung und Entfremdung. SIE verlässt den gemeinsam kreierten Raum.
Um nur ein paar Minuten später wieder in denselben Fluss beziehungsweise die gleiche Beziehung zu steigen. Was, man spürt es wahrscheinlich mehr, wenn man beide Loops nacheinander ansieht, nicht oder nur teilweise gelingen kann.
Auch hier wieder erste Annäherungsversuche, diesmal von ihr, doch der anfängliche Zauber, das tastende Geheimnis ist dabei nicht nur für die Zuschauenden verflogen.
Ihre Begegnungen haben in der Wiederholung (ungewollt) mehr Routine. Oder Schnelligkeit oder Oberflächlichkeit. Tiefverwurzelte Muster zeigen sich. "Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht." Sagt Heraklit.
Was folgt, ist nach Momenten großartiger Tiefe, wieder ebensolche Enttäuschung. Weil jedeR immer wieder vergleicht und nicht genügend präsent im JETZT ist. Denn nur dies ließe uns positiv erfahren, dass alles sich ändert und dass dies gut/gewollt ist.
Und vielleicht, so fragt auch "Relationshifts" überfrachten wir heutige romantische Beziehungen mit viel zu großen Erwartungen an die andere Person/uns selbst.
"Heute wenden wir uns an eine Person, um das zu liefern, was ein ganzes Dorf einst getan hat: ein Gefühl der Erdung, Bedeutung und Kontinuität. Gleichzeitig erwarten wir, dass unsere engagierten Beziehungen sowohl romantisch als auch emotional und sexuell erfüllend sind. Ist es ein Wunder, dass so viele Beziehungen unter dem Gewicht von allem zerfallen?" fragt die belgische Psychotherapeutin Esther Perel.
Sie erforscht die Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Bedürfnis nach Freiheit in menschlichen Beziehungen, was in "Relationshifts" (s)einen kongenialen tänzerischen und energetischen Ausdruck findet.
Astrid Priebs-Tröger